Dienstag, 30. Mai 2017

Aus der Werkstatt: Entschlüsselung einer Geheimschrift von 1785

Seit nunmehr acht Jahren beschäftige ich mich neben "klassischen" Forschungsfeldern auch mit Kryptologie und Spionagegeschichte. Die zugehörige Publikation ist in Vorbereitung ("Geheimdiplomatie in der Frühen Neuzeit. Spione, Chiffren, Interzepte").
Das Themenfeld wird nicht von allen Kollegen als "ernste" Wissenschaft betrachtet, obgleich die Quellenrecherche und -analyse hier besonders kompliziert ist.
Jüngstes Beispiel ist eine Geheimschrift aus einem Briefwechsel zwischen einem preußischen Diplomaten und einem preußischen Beamten aus dem Jahr 1785, die mir mein geschätzter "Habilitationsvater", der Direktor vom Forschungzentrum Gotha, vorgelegt hat.
Die Briefe ist stellenweise chiffriert, aber dann zwischen den Zeilen sehr unleserlich aufgelöst. Zum Glück, denn ohne diese Hilfe wäre eine Entschlüsselung nahezu unmöglich. Zu gut waren zur Mitte des 18. Jahrhunderts die Chiffren, die auf Nomenklatoren beruhten. Eigentlich sind solche Chiffren unknackbar, wenn man den Nomenklator nicht verfügbar hat.
Momentan bin ich dabei, mich durch die knapp 75 seitige Korrespondenz vorwärtszuarbeiten. Eine Zählung zeigt, dass zehn Seiten fast vollständig chiffriert sind, weitere zehn Seiten sehr stark, 16 Seiten wenig chiffriert und der Rest gar nicht chiffriert. 36 Seiten klingt erstmal überschaubar. Aber es ist mühsam. Zum einen ist die interlineare Auflösung teilweise sehr schlecht lesbar. Zum zweiten erfolgt parallel zur Dechiffrierung die Transkription. Viele chiffrierte Stellen erschließen sich erst aus dem Kontext.

Einige Zahlen sind mehrfach (ein- bis neunmal!) unterstrichen. Aus einer korrespondierende (französischen) Quelle weiß ich, dass man bei diesen Worten von hinten entsprechend viele Buchstaben wegstreichen muss. So wird aus 848.6.136. 
(848 = pour, 6 = ad, 136 = arriver) die Phrase "poura arriver". 
Was bei einem Wort mit neun zu streichenden Buchstaben übrigbleiben soll, ist mir allerdings noch ein Rätsel...

Mittlerweile bin ich auf Seite 12 angelangt und habe auch einen typischen Chiffrierfehler der damaligen Sekretäre entdeckt: die Chiffre ist alphabetisch aufgebaut.
Bis Nr. 25 scheinen die häufigsten Adverbien gesammelt zu sein. Danach fangen die Worte mit zweistelliger Chiffre mit "a" an ("aber", "alles", "anderer"), es folgen die weiteren Buchstaben ("Berlin", "Corr.", "dieses").
Damit ist für viele Zahlen, die ich noch nicht auflösen konnte, zumindest der Wortanfang klar. Hier liegt die Schwachstelle der Chiffre, an der man einbrechen kann und den Text entschlüsseln kann.
Die Chiffre ist dennoch gut gemacht; sie vermischt Buchtaben, Silben und ganze Worte.  756.664. heißt "Plan", wobei die erste Ziffer für die Silbe "Pla" und die zweite Ziffer für den Buchstaben "n" steht. Noch besser ist das Wort "einschläfern" verschlüsselt: 195.874.224.798.664. (wobei 195 = ein, 874= schla, 224= fe, 798=r, 664=n). Dieses Wort ist im Bildbeispiel in der Mitte rechts zu sehen.



Ich habe übrigens kein Muster gefunden, warum bestimmte Stellen chiffriert sind. Erstaunlicherwise sind bisweilen ziemlich pikante Formulierungen nicht chiffriert worden. Mir scheint aber, es geht bei den chiffrierten Stellen zumeist um das Verhalten des preußischen Königs und der Minister sowie um türkische Angelegenheiten.

Die Interpretation der Briefinhalte muss ich glücklicherweise nicht machen. Die hat es auch in sich, denn viele Namen sind mit Initialen abgekürzt. ;-)

Montag, 29. Mai 2017

Was ist kreative Wissensvermittlung?

"Mal wieder ins Museum.", so der Wunsch. Für einen 5jährigen ist es dann ein Erlebnis, wenn er das, was er sieht, einordnen kann. Dazu genügt es nicht, ihn durch die Ausstellung zu schleifen. Vielmehr muss er einige Anhaltspunkte haben, an denen er das Neue ausrichten kann. Wie kann man ein (Vorschul-)Kind für Geschichte interessieren? Darum soll es hier gehen.
Geschichte kann man auch lernen, ohne es zu merken.
Die Didaktiker an den Universitäten lassen sich auf Spielchen im Unterricht kaum ein. Und in der praktischen Geschichtsvermittlung sind Experimente auch nur selten gewünscht. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Hauptsache, das Lernen erfolgt unbewusst, gewissermaßen nebenbei. Also Spannung  und Spaß müssen im Vordergrund stehen: In der Gemäldegalerie Details suchen (den Blitz im Gewitterbild) statt gleich mit dem Namen des Künstlers ins Haus fallen, im Mathematisch-Physikalischen Salon den trommelnden Wecker-Bären und den Faltglobus besuchen. Wenn man um die Kleinigkeiten eine schöne Geschichte herum erzählt, hören die Kinder von alleine zu und sammeln nebenbei die Fakten ein.

Zwei weitere Beispiele:
Schüler verstehen den Spanischen Erbfolgekrieg besser, wenn man ihn als Fußballspiel auf einem grünen A2-Blatt nachvollzieht. Die Schüler stehen in zwei Gruppen um den großen Kartentisch herum und haben zwei verschiedenfarbige Filzstifte. Jede Gruppe hat eine kurze Zusammenfassung des Krieges dabei. Zunächst werden die wichtigsten Diplomaten (Abwehr), Herrscher (Mittelfeld) und Feldherren (Stürmer) der Koalitionspartner als die Spieler mit Namen auf dem Feld notiert, wobei die Aufstellung (Viererkette oder nicht) egal ist. Hier muss man sich zwangsweise auf elf Leute auf dem Platz beschränken, kann aber die sich ändernden Koalitionen als "Auswechslungen" darstellen. Dann wird von jedem Schüler ein kurzer Abschnitt der Kriegsgeschichte vorgelesen. Mit entsprechenden Strichen werden die Angriffe simuliert. Jede gewonnene Schlacht bzw. jedes Zugeständnis bei den Verhandlungen gilt als ein Tor. Bevor 1711 die Kriegswende geschieht,ist Halbzeit. Alle werden wetten, dass Frankreich diesen Krieg verliert. Dann ist die Überraschung groß, dass es am Kriegsende seine sehr starke Position behalten hat. Diese Variante ist mit Lehramtsstudenten der TU Dortmund erprobt und funktioniert wirklich.
Spielerisch kann man schon Vorschulkindern ein Verständnis von langen Zeiträumen vermitteln. Leider kranken viele gut gemeinte Zeitleisten in den Museen daran, dass zwischen den Einträgen die Abstände gleich groß sind - egal, ob 50 Jahre vergangen sind oder 500. Auf diese Weise kann ein Kind kein Zeitgefühl für Jahrhunderte entwickeln. Wie wäre es statt dessen damit:
Man nehme: ein langes Stück Strick u mache nach beispielsweise 5 cm, 35 cm und 3 Metern eine Markierung. Jeder cm entspricht einem Jahr. Dann lege man den Strick der Länge nach hin. Nach 5cm wird ein Spielzeug Kinderwagen oder ein Nuckel gelegt. Bei 35 cm ein Bild der Mama u bei 3 Metern ein Bild von August dem Starken, dem berühmten sächsischen Kurfürsten (1670-1733).Jetzt kann das Kind sehen, wie nah von heute an seine Geburt (5 cm) ist und wie weit Mamas Geburt zurückliegt und die Regierungszeit von Kurfürst August dem Starken. Das kann man auf alle möglichen Ereignisse anwenden. Noch eindrucksvoller wird es, wenn mehrere Sinne angesprochen werden. Wenn Weihnachten 1 Jahr her ist, sollte nach 1 cm eine kleine Räucherkerze angezündet werden. Genauso kann man Erfindungen des Alltags (Auto, Fernseher, Elektrizität) verorten und dem Kind bewusst machen, dass, als die Oma noch klein war, noch ganz andere Lebensgewohnheiten herrschten. Übrigens kam bei meinem Sprössling natürlich gleich die Preisfrage aller Jungs. Hier die Antwort: Um zu den Dinosauriern zu gelangen, müsste man den Strick bis nach Australien spannen, wohin ein Flugzeug 24h ununterbrochen fliegen müsste. Dieses Bild verstehen schon 5jährige und haben dann einen Höllenrespekt vor den "Millionen Jahren".