Freitag, 23. Oktober 2020

In 20 Tagen zur Geografielehrerin (Teil 2)


Okay, mein Herz sagt Ja zu dem angebotenen Job. Also hole ich mir gleich 15 kg Bücher aus der Universitätsbibliothek. Über Geografiedidaktik, Lehrplaninhalte der 5. und 6. Klassen, Atlanten und die neueste Literatur zur Methodenvielfalt und zur digitalen Lehre. Da kommt einiges zusammen.

Mein Kompass zeigt ganz klar nach vorn, nach draußen, in die weite Welt. Von der Welt der Zeit in die Welt des Raumes. Mein Herz klopft bei der Herausforderung, die vor mir liegt. Es ist sehr viel Arbeit. Aber meine Entscheidung ist gefallen: besser, ich verdiene wenig als gar nichts. Besser, ich nutze mein Talent, anderen etwas beizubringen und sie mit meiner Begeisterung für Geschichte und diese wunderbare Erde anzustecken, als zu Hause mein Ding für mich zu machen. Besser ich lerne neue Leute im Kollegenkreis kennen, als ich versumpfe zu Hause. Besser ich lerne auch für mich was Neues als ich mach das, was ich schon immer gemacht hab. Und beim Durchlesen des Lehrplans finde ich ganz viele Themen, wo ich auch in Geografie ein bisschen Geschichte verstecken kann. Fächerübergreifender Unterricht. Und praxisnah ist das Ganze auch noch, weil ich viele Beispiele aus unserer Region einfließen lassen kann. Ich kann im zweiten Schuljahr vielleicht meine Planspiele ausprobieren, ich kann Exkursionen vorbereiten, ich kann mit den Kindern viele schöne Stunden erleben. 

Maritim, Navigation, Charts, Kompass

Ich werde Tage haben, wo der Zeitdruck mich fertig macht. Ich werde Tage haben, wo ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich werde Tage haben, wo mich die Schüler zur Weißglut treiben. Ich werde fluchen. Vielleicht werde ich Ausschreibungen sehen, auf die ich mich dann nicht bewerben kann. Was ich anfange, mache ich zu Ende. Ich werde aber auch oft glücklich sein. Ich werde jeden Tag das Ziel haben: Heute möchte ich, dass die Kinder einmal zum staunen bringen und einmal lachen sehen und ihnen eine neue Sache in den Kopf setzen. 

Zunächst einmal muss ich meinen Mann überzeugen. Im Freundes- und Verwandtenkreis höre ich nur Aufmunterung und dass sich alle sehr gut vorstellen können, wie gut ich das hinkriegen werde. Na, mal sehen... Dann kaufe ich für 50 Euro an Schreibmaterial alles ein, was man als Lehrerin so braucht und richte mir einen zugegebenermaßen sehr kleinen Arbeitsplatz in unserem Schlafzimmer ein. 

Aus der Verwandtschaft bekomme ich dankenswerterweise Schülermitschriften aus der 5. und 6. Klasse. So kann ich ein Gefühl dafür entwicklen, welches Niveau es sein soll, wieviel in eine Stunde passt und wie Klassenarbeiten aussehen und bewertet werden. Das hatte ich ja alles schon mal gewusst, damals, im Studium vor 25 Jahren. Es kommt mir vor wie gestern.

Inzwischen habe ich eine Excel-Liste begonnen, wo ich den Zeitaufwand für alles notiere. Das wird bestimmt später mal interessant!

In 20 Tagen zur Geografielehrerin (Teil 1)

Dieses Jahr war eine besonders, auch für mich. Bis Ende Januar lief mein letztes Projekt, und seitdem überarbeite ich meine Qualifikationsschrift für den Druck und schaue nach einer neuen Stelle. Bis Januar hätte ich noch ALG I, aber dann...? Was macht man als habilitierte Historikerin für Landesgeschichte, die seit 15 Jahren von einem Projekt zum nächsten gekommen ist und mit Familie nur bedingt flexibel? Eigentlich will ich doch nur mein Herzensprojekt machen - eine Doppelbiografie über die Minister Augusts des Starken, Flemming und Wackerbarth. Alte Bücher lesen, im Archiv sitzen, jeden Tag den Berg der 10.000 Briefe abtragen ... das wäre schön!

Buch, Lesen, Alt, Literatur, Seiten, Bücher

Aber dafür müsste ich einen DFG-Antrag schreiben, der viel, viel Mühe kostet und zu 75% abgelehnt wird. Meine Kontaktversuche zu den einschlägigen Institutionen in Dresden erbrachten bis jetzt auch nur Schulterzucken: "Ein sehr wichtiges Thema, aber eine Stelle? Nö."

Da hilft nur umschauen. Die Ausschreibungen sind allesamt dürftig. Eigentlich bin ich auf der Suche nache einer Koordinatorenstelle oder Teilprojektleitung im Gehaltsbereich TV-L 14. Gefunden habe ich: eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Dippoldiswalde - für TV-L 8. Vom Arbeitsumfang her ist das auf jeden Falle eine 13, also bewerbe ich mich nicht. Verlockend ist auch eine Stelle in Dessau, wo mehrere Museen zusammengeführt werden. Vollzeit, Befristung, Umzug...mit Kindern in der gegenwärtigen Lage nicht die erste Wahl. Und überall suchen sie die eierlegende Wollmilchsau.

File:Wollmilchsau.png

Des Weiteren finde ich einen interessanten Job als Assistenz der Geschäftsführung in der freien Wirtschaft in der holzverarbeitenden Industrie, die sich über Quereinsteiger freuen. Allerdings ist das Unternehmen mitten in der Pampa, jeden Tag 30min Autobahnfahrt, und dann wäre das der Abbruch meiner wissenschaftlichen Karriere. Also etwas näher dranbleiben möchte ich schon. Also überlege ich diesmal ernsthaft, meinen Zweitabschluss des Ersten Staatsexamens zu nutzen und schau nach, ob Lehrer gebraucht werden. Und werde fündig: zwei Schulen in Dresden suchen Geschichtslehrer. Gleich mache ich zwei Bewerbungen fertig.

Die eine Schule schickt nach wenigen Tagen die Absage, die andere Schule lädt mich nach sechs Tagen zum Vorstellungsgespräch ein. Ausgeschrieben ist eine halbe Stelle als Lehrkraft für Geschichte und Geografie am Gymnasium.

Als ich ankomme, heißt es, ich müsste 8 Stunden Geografie und 3 Stunden Geschichte geben, überwiegend für Schüler der Oberschule. Die Stelle ist auf zwei Schuljahre befristet. Das Gehalt orientiert sich an den Quereinsteigern im Lehrdienst und sieht ca. 1.500 brutto vor. Ich werde kurz durch die Schule geführt und fühle mich wohl bei dem Gedanken. Hier könnte ich was Sinnvolles tun, hätte eine sichere Perspektive und könnte meinen Horizont erweitern. Ob ich das wirklich wagen soll? Von der renommierten Fachhistorikerin zur Geografielehrerin? Erstmal drüber schlafen.