Da ich inzwischen mit einer neuen Arbeit betraut wurde, musste ich die Wackerbarth-Korrespondenz einige Wochen vernachlässigen. Aber wenigstens etwas kam ich voran. Inzwischen habe ich den 70. Brief von Wackerbarth an Flemming transkribiert: vereinzelte von 1698, 1699 und 1700, manche von 1704 und 1705 und die gesamten Briefe des Jahres 1706. Man kann vieles über Personalpolitik und Hofintrigen aus diesen Briefen lernen. Und Wackerbarth bekommt immer mehr an Profil.
Er hat eine harte Zeit in Wien erlebt: weit weg vom König war er auf
sich gestellt und musste hilflos zusehen, wie hinter seinem Rücken in
Dresden und Warschau die Intrigen gegen ihn liefen. Im März 1706 schrieb
er, der bei Bedarf auch als General der Infanterie für militärische
Aktionen ins Feld gezogen war, aus Wien an seinen "tres honoré frère",
einen aufgewühlten Brief. August II., Seine Majestät hatte ihm im Januar
eine scharfe Kritik für die desolate Lage seines Reichskontingents
zukommen lassen. Voller Verzweiflung schrieb er an Flemming, er wolle
ihn nicht belästigen, als ob es immer um seine Sachen ginge. Aber er
erlebe eine Demütigung und werde für das "große Verbrechen" der
Angelegenheit von Hagenau zur Verantwortung gezogen. Er werde von den
Anderen - Seligmann, Heinecken werden genannt, andere Namen mit Chiffren
verschlüsselt - geschwächt, die "sehr nachtäglichen Discours gehalten
haben" und behaupten, "es sey sich nicht auff unß zu verlassen nicht
mahl sey nichts beständiges vorzunehmen". Und weiter: "Heute erhören wir
den einen biß in Himmel und morgen würffen wir ihn herunter biß in
die Hölle. Waß will denn umb Gottes Willen endtlich daraus werden." Und
an anderer Stelle stöhnt er erneut: "Aber mein Gott, in welche Maxime
geraten wir, wenn wir auch diejenigen diskreditieren wollen, die an
ausländischen Höfen noch ein wenig Vertrauen genießen!" Er stellte also
die Interessen des Hofes an die erste Position. Erst danach fügt er
bescheiden seine Gekränktheit an: "Ich bin es, der alles tut. [...]
Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, welchen Anlass ich dem König
gegeben haben soll, um auf diese Weise behandelt zu werden." Er hatte
aber nicht nur Sorge um sich, sondern auch um sein "weniges allhier
versteckters Vermögen". Besonders aber sah er seinen Ruf gefährdet, da
es schon jeder, der sich an ihn hielte, sein Ansehen schwäche. Er wisse
nicht mehr, wem er trauen könne und ließ es "dem H. Brudern erwegen, waß
ich zu hoffen haben möchte". Er protestiere in aller Form. Und er fügt
seine sämtlichen Verdienste an (die Flemming ohnehin kannte). Ein
Minister auf der Abschussliste?
Wenn man das Rescript von August II. vom 21. Januar liest, wird klar, warum Wackerbarth solche Panik bekam. Es ist erstaunlich, mit welcher Schärfe der König den Gesandten und General angegangen war: Das Reichskontingent sei in Hagenau in sehr schlechten Zustand geraten, weil "Ihr ohne unsere vorhero eingeholte Bewilligung, und wieder denen Inhalt Euer desfals habenden Instruction gedachte Bataillons in die Garnison stecken und Euch selbsten zum Commendanten, des Orthes setzen laßen". Wütend schreibt der König weiter: Deshalb "können Wir Euer damahls beschehenes Unternehmen nicht anders alß mißfällig ansehen, laßen auch wie Ihr euch solches künfftig hin zu verantworten getrauet, noch zur Zeit dahin gestellet sein." Wackerbarth wird dringend Fleiß und Sorgfalt angeraten. Zum Schluss knallt Seine Majestät ihm entgegen: "Hoffe eine gehörige Resolution wegen der gesuchten Doucours erfolgen möge". Widrigenfalls werde das Kontingent zurückgezogen, was einer Degradierung gleichgekommen wäre. "Davon geschieht Unser Wille" usw. Augustus Rex.
Wackerbarth muss platt gewesen sein von diesem Donnerwetter. Ihm wurden Eigenmächtigkeit, schlechte Amtsführung und unbefugte Amtsanmaßung vorgeworfen. Der plötzliche Entzug der königlichen Gunst traf ihn hart, da er sich nicht persönlich verteidigen konnte und die Folgen der Ungunst kannte: Entlassung, Festungshaft, Landesverweis. Andere wurden schon wegen weniger verhaftet.
Wackerbarth fragte seinen Freund mehrfach um Rat. Am 3. März deutet er an, er habe vom König einen Brief erhalten, der ihm "das Herz durchbohrt hat" (qui me peruent le coeur.) Am 7. März bat er Flemming, dieser solle sondieren, in welcher Stimmung der König sei. Er wolle es seiner Majestät "angenehm gestalten" und schickte bereits Vorschläge, dass er als entlassener General mit dem aufgestocktem Gehalt eines Generalmajors weiter beschäftigt werden könne. Ihm seien die Bezüge eines Kriegsrats genug. Neben Flemming scheint er dem Grafen von Schulenburg sehr vertraut zu haben. Am 14. März schrieb er Flemming, er sei immer noch in Wien und warte "wie die Hebräer nach ihrem Messias, auf den Boten, den Herr von Schulenburg versprochen hat". Es ging vorrangig darum, dass Flemming (!) ein Stellenangebot vom russischen Hof gemacht worden war.
Plötzlich stand also alles infrage: Würden Flemming und Wackerbarth den Dresdner Hof verlassen? Wackerbarth hatte einen gemeinsamen Bekannten (bezeichnet als "gute Freundin") beraten, dem eine Pension von 4.000 Gulden am Kaiserhof geboten worden waren, und hatte diesem aus "soliden Gründen" empfohlen, das Angebot abzulehnen. Diese "gute Freundin" werde nun noch Flemming um Rat fragen und seine Entscheidung zur Leitlinie nehmen. Er rate ihm, falls er diesem Bekannten zurate, sich auch dort zu gleichen Konditionen aufnehmen zu lassen. Tatsächlich hat Wackerbarth, als er selbst in Zweifel über seine Position war, seinem Freund den Ratschlag gegeben, Dresden zu verlassen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. So heftig muss ihn der Angriff des Königs getroffen haben.
Hatte er in der Zwischenzeit Kontakt zum König selbst? Ja, auch dem König hatte er am 24., 27. Februar und am 3. März je eine Relation
geschickt und ganz professionell über den schwedischen Feldzug
berichtet sowie über eine Dame, die intime Details wüsste, wie Seine
Majestät "wieder lufft bekämen". August II. hatte in der Schlacht von
Fraustadt am 3. Februar eine empfindliche Niederlage einstecken müssen.
Der Große Nordische Krieg lief seit Monaten gegen ihn: die Schweden
waren ins Baltikum einmarschiert und die schwedische Partei des
litauischen Adels gewann die Oberhand. Karl XII. von Schweden entzog
sich einer Feldschlacht gegen die mit den Russen vereinigten Sachsen.
Für August II. wurde die Luft dünn. Kein Wunder, dass er wegen des in
Hagenau vergammelnden sächsischen Soldaten, die er als Reichshilfe dem
Kaiser im Spanischen Erbfolgkrieg zu stellen gezwungen gewesen war,
explodiert war: In Polen und Litauen fehlte ihm jeder Mann, und in
Westeuropa saßen seine Leute schon im Herbst in der Garnison im
Winterquartier. Wackerbarth ließ in seinen Relationen sein Mitgefühl
sprudeln: er beklagte den neuerlichen "unglücklichen Coup" von Herzen und gab sich alle Mühe, aus der Position im Westen ein günstiges Licht zu senden, da er ja in direktem Kontakt mit dem Prinzen Eugen stünde. Gegenüber dem Chef agierte Wackerbarth klugerweise also zunächst
sachbezogen und zeigte somit sein Engagement, seine Qualitäten und seine
Autorität - und verschaffte sich nebenbei Bedenkzeit. Er ließ sich die
Dinge erst einmal entwickeln, machte sich ein Bild und verfasste erst im
März also eine ausgefeilte Replik. Das Verfassen dieser Antwort scheint ihn aber emotional dermaßen aufgewühlt zu haben, dass er, als er Flemming am Folgetag den Brief in Kopie sandte, ihm in jener oben beschriebenen emotionalen Weise seien Gefühle darlegte.
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