Montag, 20. November 2023

1706: Wackerbarth in Bedrängnis - oder verlässt Flemming den Hof?

Da ich inzwischen mit einer neuen Arbeit betraut wurde, musste ich die Wackerbarth-Korrespondenz einige Wochen vernachlässigen. Aber wenigstens etwas kam ich voran. Inzwischen habe ich den 70. Brief von Wackerbarth an Flemming transkribiert: vereinzelte von 1698, 1699 und 1700, manche von 1704 und 1705 und die gesamten Briefe des Jahres 1706. Man kann vieles über Personalpolitik und Hofintrigen aus diesen Briefen lernen. Und Wackerbarth bekommt immer mehr an Profil.

Er hat eine harte Zeit in Wien erlebt: weit weg vom König war er auf sich gestellt und musste hilflos zusehen, wie hinter seinem Rücken in Dresden und Warschau die Intrigen gegen ihn liefen. Im März 1706 schrieb er, der bei Bedarf auch als General der Infanterie für militärische Aktionen ins Feld gezogen war, aus Wien an seinen "tres honoré frère", einen aufgewühlten Brief. August II., Seine Majestät hatte ihm im Januar eine scharfe Kritik für die desolate Lage seines Reichskontingents zukommen lassen. Voller Verzweiflung schrieb er an Flemming, er wolle ihn nicht belästigen, als ob es immer um seine Sachen ginge. Aber er erlebe eine Demütigung und werde für das "große Verbrechen" der Angelegenheit von Hagenau zur Verantwortung gezogen. Er werde von den Anderen - Seligmann, Heinecken werden genannt, andere Namen mit Chiffren verschlüsselt - geschwächt, die "sehr nachtäglichen Discours gehalten haben" und behaupten, "es sey sich nicht auff unß zu verlassen nicht mahl sey nichts beständiges vorzunehmen". Und weiter: "Heute erhören wir den einen biß in Himmel und morgen würffen wir ihn herunter biß in die Hölle. Waß will denn umb Gottes Willen endtlich daraus werden." Und an anderer Stelle stöhnt er erneut: "Aber mein Gott, in welche Maxime geraten wir, wenn wir auch diejenigen diskreditieren wollen, die an ausländischen Höfen noch ein wenig Vertrauen genießen!" Er stellte also die Interessen des Hofes an die erste Position. Erst danach fügt er bescheiden seine Gekränktheit an: "Ich bin es, der alles tut. [...] Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, welchen Anlass ich dem König gegeben haben soll, um auf diese Weise behandelt zu werden." Er hatte aber nicht nur Sorge um sich, sondern auch um sein "weniges allhier versteckters Vermögen". Besonders aber sah er seinen Ruf gefährdet, da es schon jeder, der sich an ihn hielte, sein Ansehen schwäche. Er wisse nicht mehr, wem er trauen könne und ließ es "dem H. Brudern erwegen, waß ich zu hoffen haben möchte". Er protestiere in aller Form. Und er fügt seine sämtlichen Verdienste an (die Flemming ohnehin kannte). Ein Minister auf der Abschussliste?

Wenn man das Rescript von August II. vom 21. Januar liest, wird klar, warum Wackerbarth solche Panik bekam. Es ist erstaunlich, mit welcher Schärfe der König den Gesandten und General angegangen war: Das Reichskontingent sei in Hagenau in sehr schlechten Zustand geraten, weil "Ihr ohne unsere vorhero eingeholte Bewilligung, und wieder denen Inhalt Euer desfals habenden Instruction gedachte Bataillons in die Garnison stecken und Euch selbsten zum Commendanten, des Orthes setzen laßen". Wütend schreibt der König weiter: Deshalb "können Wir Euer damahls beschehenes Unternehmen nicht anders alß mißfällig ansehen, laßen auch wie Ihr euch solches künfftig hin zu verantworten getrauet, noch zur Zeit dahin gestellet sein." Wackerbarth wird dringend Fleiß und Sorgfalt angeraten. Zum Schluss knallt Seine Majestät ihm entgegen: "Hoffe eine gehörige Resolution wegen der gesuchten Doucours erfolgen möge". Widrigenfalls werde das Kontingent zurückgezogen, was einer Degradierung gleichgekommen wäre. "Davon geschieht Unser Wille" usw. Augustus Rex.

 


Wackerbarth muss platt gewesen sein von diesem Donnerwetter. Ihm wurden Eigenmächtigkeit, schlechte Amtsführung und unbefugte Amtsanmaßung vorgeworfen. Der plötzliche Entzug der königlichen Gunst traf ihn hart, da er sich nicht persönlich verteidigen konnte und die Folgen der Ungunst kannte: Entlassung, Festungshaft, Landesverweis. Andere wurden schon wegen weniger verhaftet.

Wackerbarth fragte seinen Freund mehrfach um Rat. Am 3. März deutet er an, er habe vom König einen Brief erhalten, der ihm "das Herz durchbohrt hat" (qui me peruent le coeur.) Am 7. März bat er Flemming, dieser solle sondieren, in welcher Stimmung der König sei. Er wolle es seiner Majestät "angenehm gestalten" und schickte bereits Vorschläge, dass er als entlassener General mit dem aufgestocktem Gehalt eines Generalmajors weiter beschäftigt werden könne. Ihm seien die Bezüge eines Kriegsrats genug. Neben Flemming scheint er dem Grafen von Schulenburg sehr vertraut zu haben. Am 14. März schrieb er Flemming, er sei immer noch in Wien und warte "wie die Hebräer nach ihrem Messias, auf den Boten, den Herr von Schulenburg versprochen hat". Es ging vorrangig darum, dass Flemming (!) ein Stellenangebot vom russischen Hof gemacht worden war. 

Plötzlich stand also alles infrage: Würden Flemming und Wackerbarth den Dresdner Hof verlassen? Wackerbarth hatte einen gemeinsamen Bekannten (bezeichnet als "gute Freundin") beraten, dem eine Pension von 4.000 Gulden am Kaiserhof geboten worden waren, und hatte diesem aus "soliden Gründen" empfohlen, das Angebot abzulehnen. Diese "gute Freundin" werde nun noch Flemming um Rat fragen und seine Entscheidung zur Leitlinie nehmen. Er rate ihm, falls er diesem Bekannten zurate, sich auch dort zu gleichen Konditionen aufnehmen zu lassen. Tatsächlich hat Wackerbarth, als er selbst in Zweifel über seine Position war, seinem Freund den Ratschlag gegeben, Dresden zu verlassen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. So heftig muss ihn der Angriff des Königs getroffen haben. 

Hatte er in der Zwischenzeit Kontakt zum König selbst? Ja, auch dem König hatte er am 24., 27. Februar und am 3. März je eine Relation geschickt und ganz professionell über den schwedischen Feldzug berichtet sowie über eine Dame, die intime Details wüsste, wie Seine Majestät "wieder lufft bekämen". August II. hatte in der Schlacht von Fraustadt am 3. Februar eine empfindliche Niederlage einstecken müssen. Der Große Nordische Krieg lief seit Monaten gegen ihn: die Schweden waren ins Baltikum einmarschiert und die schwedische Partei des litauischen Adels gewann die Oberhand. Karl XII. von Schweden entzog sich einer Feldschlacht gegen die mit den Russen vereinigten Sachsen. Für August II. wurde die Luft dünn. Kein Wunder, dass er wegen des in Hagenau vergammelnden sächsischen Soldaten, die er als Reichshilfe dem Kaiser im Spanischen Erbfolgkrieg zu stellen gezwungen gewesen war, explodiert war: In Polen und Litauen fehlte ihm jeder Mann, und in Westeuropa saßen seine Leute schon im Herbst in der Garnison im Winterquartier. Wackerbarth ließ in seinen Relationen sein Mitgefühl sprudeln: er beklagte den neuerlichen "unglücklichen Coup" von Herzen und gab sich alle Mühe, aus der Position im Westen ein günstiges Licht zu senden, da er ja in direktem Kontakt mit dem Prinzen Eugen stünde. Gegenüber dem Chef agierte Wackerbarth klugerweise also zunächst sachbezogen und zeigte somit sein Engagement, seine Qualitäten und seine Autorität - und verschaffte sich nebenbei Bedenkzeit. Er ließ sich die Dinge erst einmal entwickeln, machte sich ein Bild und verfasste erst im März also eine ausgefeilte Replik. Das Verfassen dieser Antwort scheint ihn aber emotional dermaßen aufgewühlt zu haben, dass er, als er Flemming am Folgetag den Brief in Kopie sandte, ihm in jener oben beschriebenen emotionalen Weise seien Gefühle darlegte.


Donnerstag, 13. Juli 2023

Chiffre zwischen Wackerbarth und Flemming entschlüsselt

 

SächsHStAD, Bestand 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 03233/02, ca. f. 412. (Ausschnitt)

Regelmäßig lade ich die Geheimschriften von Flemming in die DECODE-Datenbank hoch und habe bereits ein Fünftel seiner Chiffren geschafft. Insgesamt sind in dieser Datenbank nun aus dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv bereits 152 sächsische Chiffren enthalten. Die vielen, oft namenlosen Tabellen des Grafen Flemming zeigen zumeist umfangreiche Nomenklatoren und homophone Chiffren. Homophone Substitution bedeutet, dass mehrere Zahlen für einen Buchstaben stehen, so dass der Sekretär beim Chiffrieren die Zahlen abwechseln kann, was den Einbruch in eine Chiffre sehr erschwert. Üblicherweise gab es für jeden Buchstaben drei oder vier Zahlen zur Auswahl. Auch wenn Flemming diese Chiffren oft als "Chiffre bannal" bezeichnet hat, waren sie somit alles andere als banal.

Überraschend hingegen ist, dass Wackerbarth eine tatsächlich einfache Substitutionschiffre verwendet hat. Es gab für jeden Buchstaben nur eine Zahl, und mit der Häufigkeitsanalyse konnte man diese Art der Chiffre leicht knacken - wenn man genug Material hatte. Für wenig Text, wie es mit wenigen Passagen in einem Brief der Fall ist, benötigt man allerdings moderne Programme. Auf der diesjährigen HistoCrypt Tagung in München konnte ich den französischen Experten George Lasry dafür gewinnen, sich die Chiffre von Wackerbarth und Flemming anzusehen. Binnen eines Tages konnte er die verschlüsselten Passagen im Brief vom 27. Juni 1700 dechiffrieren.

 


Durch sein Computerprogramm konnte George Lasry den Schlüssel extrahieren, und ich bin ihm für seine schnelle tatkräftige Hilfe sehr dankbar. Er konnte das Alphabet auflösen, allerdings blieben die Nummern der Namen natürlich unbekannt: 57, 151, 148.

Somit konnte ich nun aber in den Konvoluten der Chiffren Flemmings nach einer Tafel suchen, bei der A 11 und B 10 und Z 13 ist. Also, Bestand Geheimes Kabinett, Loc. 3233/2 - und auf Seite 412 wurde ich fündig! Alle Nummern stimmten. Die Namen passten ebenfalls: erwähnt wurde Flemming als Adressat, Wackerbarth als Absender und der Kaiser einmal im Text. Es war zugleich die Chiffre mit dem dänischen Hof, wie sich zeigte.

 

SächsHStAD, Bestand 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 03233/02, ca. f. 412.

Der Brief vom 27. Juni 1700 gibt nun seine geheime Botschaft preis: Graf Wackerbarth berichtet, er habe mit Graf Kaunitz über eine neue Tax (Steuer) gesprochen und dessen Unterstützung eingeholt. Auch wird der Kaiser die Spesen dieser Steuer auf sich nehmen. Außerdem berichtet Wackerbarth, dass der Kaiserhof einen Expressboten nach Spanien geschickt hat, um in Erfahrung zu bringen, wie Spanien über den Nordischen Krieg denkt. Es ging also um die Finanzierung des Nordischen Krieges, den Sachsen im Februar mit dem Einfall in Livland ausgelöst hatte.Die Beschießung Rigas und die Einnahme der Festung Dünamünde durch sächsische Truppen ist in mehreren Kupferstichen festgehalten worden. Auf einigen ist der Generalleutnant Flemming als Befehlshaber dargestellt: Er steht mit einem Pferd auf einer Anhöhe und gibt Anweisungen.

Johann Christoph Brotze: Sammlung verschiedner Liefländischer Monumente, Prospect der Stadt Riga von Lifländischer Seiten unter Bloquirung des Königs von Polen Anno 1700. University of Latvia Academic Library; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bm04099abm.jpg


 

Ebd., Der Neumündischen Attaque welche von denen sächsischen trouppen Anno 1700 unter Commando des General Leutenats Flemming den 12 Marty 1700. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bm04005abm.jpg

1701 gelang den Schweden freilich die Rückeroberung der Festung, was gleichfalls durch kunstvolle Kupferstiche bekannt gemacht wurde. So sah Kriegspropaganda in der Frühen Neuzeit aus.

Kupferstich des Bombardements der Festung Dünamünde im Jahr 1701; https://en.wikipedia.org/wiki/File:Ustdvinsk.jpg






Dienstag, 13. Juni 2023

Die Nadel im Heuhaufen

Die beiden Protagonisten gewinnen allmählich an Profil. Auch füllt sich die Bilddatenbank allmählich. Auf den Porträts treten uns zwei Männer entgegen, die vor 300 Jahren lebten. Sie sind uns so fern, aber wenn sie uns ansehen, entsteht eine Brücke über die Jahrhunderte hinweg.
 

links: August Christoph Reichsgraf von Wackerbarth, SKD, Gemäldegalerie Alte Meister Alte Meister, Inv.-Nr. 60-10 , rechts: Jakob Heinrich Reichsgraf von Flemming, Belarusian National Arts Museum, ZH-4, KP-9357 (beide Gemeinfrei)

So bemüht der Eine, so cool der Andere. Kann man aus inszenierten Portraits tatsächlich den Charakter herauslesen? Es mag auch das Künstlertalent eine Rolle spielen: Flemmings Portrait ist von Louis de Silvestre, Wackerbarths von einem unbekannten Künstler. Aber wenigstens in Farbe, denn die sonst von Wackerbarh überlieferten Porträts sind Kupferstiche. Da trägt er auch immer den ein wenig steifen, melancholischen Blick auf, wohingegen Flemming stets selbstbewusst erscheint. Somit sind Wesenszüge über mehrere Porträts hinweg vielleicht doch erkennbar. Aber beide sind sich abgesehen davon, recht ähnlich. Immerhin, beide tragen Allongeperücke, Rüstung und den Stab des Generalfeldmarschalls. Bei Wackerbarth prangt der Weiße Adlerorden, in den er 1718 aufgenommen wurde. Flemming zeigt seinen Orden hier in diesem Porträt nicht (auf zwei anderen schon). Er hatte es offenbar zu Lebzeiten nicht nötig, immerzu Beweise seines Prestiges zu zeigen. Es wusste sowieso jeder, dass er der beste Hecht war.  Sein Charakter wurde von Kraszewski und zuletzt Fellmann sehr kritisch beschrieben. Ob dem wirklich so war, wird die weitere Forschungsarbeit zeigen.

Wackerbarth und Flemming waren beide keine Sachsen, sondern kamen aus Sachsen-Lauenburg bzw. Pommern, also eher von der Küste. Wackerbarth fing als Page an, Flemming war schon mit 21 Jahren an der militärischen Operation Wilhelms von Oranien beteiligt, als dieser 1688 mit einer Armee nach England übersetzte. Flemming hat also dem brandenburgischen Kurfürsten, dem Onkel Wilhelms III., bereits seine Qualitäten gezeigt, während Wackerbarth als Page nach Dresden kam, Johann Georg III. sein militärisches Interesse deutlich machte und von diesem erst einmal auf Bildungsreise nach Südeuropa geschickt wurde. Wackerbarth musste erst im Ausland geformt werden, Flemming kam als Teilnehmer der Glorious Revolution nach Dresden und wurde rasch Generaladjutant.

Flemming besaß weit mehr Chiffren als Wackerbarth. Das lag an seinen früh errungenen hohen Ämtern, zuletzt als dirigierender Minister. Er war dem König ein Quäntchen näher, im Zentrum der Macht, während Wackerbarth, wie wir sahen, viele Jahre am Kaiserhof in Wien vor sich hin schmachtete. Der alte Wackerbarth war für Flemming wohl keine Konkurrenz, denn er - Flemming - war vor ihm Generaladjutant, vor ihm Kabinettsminister, vor ihm Gouverneur, vor ihm Generalfeldmarschall, und er erhielt natürlich auch vor ihm den Weißen Polnischen Adlerorden. Flemming besaß viel mehr Güter als Wackerbarth und sprach mehr Sprachen. Der fünf Jahre Jüngere war auf der Überholspur, sogar sein Leben endete früher als das des Freundes. Flemming war der Jäger des Schatzes, der sich Ruhm nennt, Wackerbarth hingegen ein dienstbeflissener Untertan und engagierter Hofbeamter im Hintergrund. Beide scheinen sich verstanden und geschätzt zu haben. Bisweilen meldete sich Flemming wochenlang nicht bei Wackerbarth, was die Hierarchie deutlich werden lässt. Wackerbarth war höchstens der dritte Mann im Staat, hinter Flemming, so scheint es nach momentaner Sachlage.

Inzwischen sind alle Briefe Wackerbarths an Flemming aus den Jahren 1704 und 1705 in meiner Datenbank transkribiert und schon ziemlich viele aus dem Französischen übersetzt. Leider konnte ich die chiffrierten noch nicht entschlüsseln, da mir der passende Nomenklator fehlt. Der Brief vom 27. Juni 1700 liest sich momentan so:

Monsieur mon tres honoré Frere

Daß die question an in deß H. Bruders 22.25.18.31.18.23.11.34.39.31.19.31.29.27.24.30.23.28.27.20.27.19.23.33.17.31.29.18 seye habe ich berets vor einige posten bericht, wie auch daß mir 29.20.11.2f.32.11.17.24.31.18.13.29.27.11.29.18.26.11.19.18. an 24.31.25.30.18.19 beruhte 11.33.19.24.17.29. an der 11.10.28.17.30.20.17.24.29.26.27.20.18.11.15. und wolle man gerne laßen , 31.24.19.26.31.18.33.23.34.23.18.17. welches in der 27.30.20.17.24.26.11.24.19.27.30.27.24 eben deßelben sey. Ich bin bißhero auch bemühet gewesen 148 von diesen 18.11.15.13.12.79.27.8.20.27.31.27.24. habe es bis dato aber noch nicht | ad effectune bringen können, und nach dem mich mehrere einiger Zeit deßen 10.20.17.26.27.20. in dieser 34.11.18.27.20.31.27 so anliegendtlich geschreiben alß übersende hirbey die 25.23.24.18.20.26.27.20.18.11.13. deßen Befehl erwartendt ob ins nachselbiger ##[?]# 26.11.19.26.31.10.33.23.34.11.27.20.30.27.10.27.24. oder aber ferner 13.17.19.23.33.31.25.31.18.31.24.27.24. continuiren 19.223.daß auch aber der Kayser 26.31.27.19.22.24.19.27.24.17.10.27.20.19.31.25.30. nehmen möge. Wegen deß 26.11.18.31. glaube ich soll es keine Difficultet haben. Und also erwarthe und.[ertänigst] befehle und durch wenn 26.131.27.10.27.24.20.18.31.25.30.18.27.29.27.39.26.27.20.29.27.13.11.30.33.18.werden sollen. Übrigens führet der hiesige Hoff, bey den Nordischen Differenzien noch eben die Contenence, welche meine Vorherige Delationes mit mehren, erkläret, in denen Project so Franckreich wegen der Package des Spanischen Monarchie [?] dem hiesigen | übergeben laßen, ist weiter noch nichts resolvirt sondern man hatte vor 26.20.27.14.15.11.29.27.24.26.47.20.25.30.27.31.24.27.15.22.20.27.19.27.27.25.23.17.20.31.20.24.11.25.30.19.22.11.24.31.27.24.29.27.19.11.24.18.17.34.13.17.30.23.27.24.16.11.19.26.31.27.19.27.26.11.13.17.19.11.29.27.24. weren. Es scheinet nicht alß wan 57.sich seines 20.27.25.30.18.19.10.27.29.27.10.27.24.und in diese 22.11.20.18.11.29.27.16.31.33.31.29.27.24.16.27.20.26.27. Je vous prie du reste mon cher frere de m'en voyare exactement de Votre Chancellerie e jour al de ce qui se passera en Livonie Votre fidel servite 151.16.31.27.24.33.27.12.26.27.31.17.24.31.24.1700. ^^de 7 Juni^^ |

Wir können noch froh sein, dass die einzelnen Zahlen hier mit Punkten voneinander getrennt sind. Im 19. Jahrhundert hat man das nicht mehr gemacht, um dem Gegner die Arbeit zu erschweren. Das sieht dann so aus:

Sächsisches Staatsarchiv, HStAD, 10731, Nr. 12

Also, Anfang des 18. Jahrhunderts werden alle Zahlen noch getrennt, und dennoch waren die Chiffren sehr sicher, weil man nicht mehr nur Buchstaben einzeln verschlüsselt hat, sondern Silben oder ganze Wörter. Wenn der Gegner den Nomenklator nicht besaß, waren diese Chiffren sehr sicher.

Flemming hat zwei dicke Akten voller Nomenklatoren, aber eine Chiffre mit Wackerbarth ist nicht dabei, zumindest nicht mit dessen Namen beschriftet.

 


So sehen Chiffrenakten aus: Sächsisches Staatsarchiv, HStAD, 10026, Loc. 03233/02 und 675/10

In diesen Konvoluten stecken hunderte einzelne Tafeln, und es ist ein Glücksfall, wenn sie Personen zugeordnet werden können. Dieser bedauerliche Umstand hat mich aber wieder dazugebracht, meine Chiffren in die internationale Chiffrendatenbank DECRYPT einzuarbeiten und hochzuladen. Schon vor fünf Jahren auf der HISTOCRYPT-Tagung in Uppsala konnte ich im Gespräch mit den internationalen Experten für Kryptologiegeschichte feststellen, dass Sachsen die meisten überlieferten Nomenklatoren besitzt. Nunmehr habe ich in den letzten Wochen immer wieder einige Datensätze hochgeladen. Aber es ist eine immense Arbeit, auch wenn die Datenbank inzwischen überarbeitet wurde und doppelt so schnell zu bestücken ist wie vor fünf Jahren. 

Es gibt für Sachsen im Sächsischen Hauptstaatsarchiv allein Chiffrentabellen in ca. 50 Akten. Zum Großteil sind das gesammelte Nomenklatoren, so dass die Konvolute locker 300 Seiten umfassen. In Decode habe ich 2,5 Akten hochgeladen. Insgesamt erst 113 Nomenklatoren habe ich hochgeladen.

Das größte Problem ist, dass viele ohne Angabe von Namen, Ort oder wenigstens Jahr überliefert sind. Diese müssten einzeln abgeglichen werden mit den Zeilen des Briefes, ob die Reihenfolge der ersten Nummern einen Sinn ergibt. Diese Prozedur habe ich bei zwei Bänden mit Flemmings Akten gemacht. Ich hatte keinen Erfolg. Möglicherweise ist die Tafel in einer der anderen Akten, was eine Suche unter zehntausenden Tafeln bedeutet. Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.




Dienstag, 30. Mai 2023

Ein süßer Wein



 Das Projekt nimmt Fahrt auf. Ich habe nun insgesamt 121 Stunden gearbeitet: die meiste Zeit ging für die Transkription drauf (33 Stunden). Dabei habe ich in einer Akte erst Seite 50 erreicht. Das ist gerade ein Fünftel der Akte und 0,5% aller Korrespondenzen, wenn man von 300 Seiten pro Akte ausgeht. Das ist ganz schön ernüchternd. Aber die 34 Briefe, die bislang in der Briefdatenbank stehen, sind schon an sich ein Fundus an Informationen.

Wackerbarth klagt nicht mehr aus Wien, sondern ist, wir schreiben das Jahr 1704, inzwischen an die Front des Spanischen Erbfolgekrieges nach Landau gezogen. Er begegnet dem Herzog von Marlborough, der den Oberbefehl über die Unionstruppen führt und den er stets nur "Milord Duc" benennt. Kurz und dennoch vielsagend lässt er Flemming wissen, dass Milord vor der Eroberung von Landau das Lager verlassen hat: "il pourroit mieux emplojer ce tems ailleurs" (er kann seine Zeit woandern besser verwenden). Ist das neutral oder sarkastisch gemeint? Er verkneift sich jeden Kommentar, aber schreibt ein paar Zeilen später: "Voila mon cher frere ce qui engage Milord a quiter cet armée, avant que Landau soit pris." (Bitte sehr, mein teurer Bruder, das ist es, warum Milord die Armee verlässt, bevor Landau eingenommen ist).  Flemming darf sich seinen Teil dazu denken.

Dem Brief beigefügt hat er die offizielle Bericht an den König. Dort heißt es ausführlicher  - übrigens nicht in Französisch, sondern auf Deutsch! - "Nachdem sich die hiesige Belagerung weiter hinan ziehet, als man vermuthet, herentgegen der Winter mit dem Schlamm und Wetter herannahet und sdie sehr Strappezierte Armee insonderheit ruinirte Cavallerie zeitluse Veranstaltung ihres retablissements erheischet, damit selbige künfftige Campagne früher denn der Feind ins Feld seyn und solcher Gestalt denen ietzigen Progressen favorable suiten versprechen könne, so hat man im letzten Kriegsrath vor diensamer ermeßen, daß der Myl. Marleborogk die Zeit allheir nicht mit Erwartung der Übergabe von Landau verliehre, sondern zu Veranstaltung des benöthigten seine Abreyße antrete..." 

Dem König gegenüber wird also eine etwas andere Nuance betont und der Entscheid des Herzogs von Marlborough nicht in Zweifel gezogen, sondern präzise erklärt. Flemming gegenüber scheint mir hinter dem "Voilà" indes ein gewisser Unmut zu lauern. Immerhin wird diese Formulierung nur verwendet, um auf etwas Außergewöhnliches hinzuweisen. Man kann es auch übersetzen mit "Na bitte... da haben wir's...großartig, nicht wahr?" Marlborough lässt die anderen die Drecksarbeit machen und macht sich buchstäblich vom Acker, um sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Von großer Wertschätzung und Nähe ist keine Rede. Auch in den nächsten Zeilen steht nichts davon, dass dieser Milord besonders freundlich ist - im Gegenteil. Offenbar war Marlborough eine Diva mit Cowboy-Allüren.


Wackerbarth gibt seinem Freund noch einige Tipps für die Unterredung mit Marlborough in Berlin: Es sei nötig, alle Formalitäten und Geschwätz wegzulassen, und Flemming soll ihm ein Faß Tokajer schenken, aber  "Il faut que le vins soit doux." (Der Wein muss süß sein!)

Auch über die Kommunikationswege erfährt man einiges: Wackerbarth deutet vieles an, schreibt häufig, er werde alles Nötige mündlich mitteilen. Er bedauert, nicht an seine Chiffre zu kommen. Die Bedeutung der Geheimhaltung war ihm also voll bewusst. Für die Durchreise von Landau nach Wien wird ein Treffen in Sachsen organisiert: "Ist es für Sie zu weit, nach Leipzig zu kommen, oder wäre es bequemer, bis nach Wittenberg zu kommen? Bitte geben Sie Rückmeldung, damit ich mich danach richten kann. Ich werde Ihnen aus Frankfurt einen Boten schicken, der Sie informiert, wann ich an einem der beiden Orte sein kann."

Manchmal bemerkt er, dass er lange nichts von Flemming gehört hat, und beim zweiten Mal klingt das dann schon etwas fordernd: "Ich habe seit Leipzig keine Neuigkeiten von Ihnen erhalten, obwohl ich Ihnen keine einzige Gelegenheit ausgelassen habe, mich bei Ihnen zu erkundigen, wie es Ihnen geht."

Oft wird in großer Hast geschrieben, und Wackerbarth muss sich immer wieder um Verzeihung bitten: "Entschuldigen Sie das Durcheinander in diesem Brief sowie die Fehler. Ich musste sehr schnell schreiben, um die Post nicht zu verpassen." Selbst in dem Bericht an den König erlaubt er sich diese Entschuldigung am Schluss: "Sollte sich demnach hierinnen einige Confusion eingeschlichen haben, so werden E. K. M. der allzugroß Eilfertigkeit dero man sich in diesem Fall bedienen mußen beyzulegen allergn. geruhen"


 

Trotz aller Eile werden die Formalitäten weitestgehend gewahrt. An Flemming lautet die stets gleiche Anrede: "Monsieur tres honore frere" bedeutet keine verwandtschaftliche Beziehung, sondern dass sich beide in Gleichrangigkeit befanden, wie wir aus dem Staatstitularbuch erfahren. Die immergleiche Schlussformel lautete: "Mit unerschütterlicher Verbundenheit bin ich, Monsieur, Euer Exzellenz hochverehrter Bruder und sehr untertäniger und gehorsamer Diener AC de Wackerbarth" 

Die Briefe zeugen von einer wirklich guten Beziehung beider. Sonst hätte Wackerbarth niemals so offen kommuniziert. Wie sehr er Flemming schätzt, wird auch deutlich, als er einige Zeit keine Schreiben von ihm erhält: 

"Ich habe Schwierigkeiten einen Grund für Euer Schweigen zu finden, denn ich erhalte seit einiger Zeit keine einzige Silbe mehr von Euch, obwohl Ihr mich früher nie ohne Nachrichten gelassen habt. Um mich auf irgendeine Weise zu trösten, stelle ich mir vor, dass Ihr solche Zeit mit meinen Angelegenheiten verbringt, anstatt mir zu schreiben, und dass eine so aufmerksame Hingabe nur ein glückliches Ergebnis für mich verspricht. Ich hege meine Sehnsucht nach Euch wie die zärtlichsten Liebhaber ihre Geliebten. Ich bin beunruhigt, wenn sie mir die Zeichen ihrer Erinnerungen verwehren, und so sieht es aus, wenn man einmal überzeugt ist, wie Ihr es getan habt. Ihr habt es geschafft, mein lieber Bruder, einer meiner Freunde zu sein."

Als dann endlich wieder Post eintrifft, seufzt Wackerbarth erleichtert: "Die Teilnahme, die Sie an allem zeigen, was mich betrifft, mit großer Dankbarkeit aufnehme, denn Sie sind der beste Fürsprecher, den ich mir wünschen könnte."

Selbst delikate Angelegenheiten kann Wackerbarth Flemming anvertrauen, so seine Unsicherheit:

"Ihr werdet besser als ich beurteilen können, ob die Angelegenheit vorangeht oder scheitert, wenn mein Name in der Sache genannt wird. Ich persönlich denke, es wäre besser, ihn nicht zu nennen. Aber Ihr, mein lieber Bruder, werdet tun, was Ihr für richtig haltet, denn ich bin überzeugt von Eurem Eifer, Eurem Verstand und der Geschicklichkeit, mit der Ihr die Dinge anpackt, sodass ich keine Angst haben muss, für die 10.000 Escus ausgenutzt zu werden (Ihr versteht mich richtig)." 

Er stellte seine Person demnach hinter die Sache und wusste sich zurückzunehmen. Aber ob das immer der Fall war, werden wir sehen.


Dienstag, 16. Mai 2023

Mein Zeitplan


Ich habe inzwischen sieben Archivtage hinter mir. Ich transkribiere zwei Akten mit Briefen zwischen Wackerbarth und Flemming parallel: 1699 und 1704. Durch diese "Probebohrungen" will ich das Pensum einschätzen lernen.

Inzwischen habe ich 22 Briefe bzw. Dokumente abgeschrieben. Nach 4h ist spätestens mein Akku alle.

In dieser Korrespondenz habe ich eine Geheimschrift entdeckt. Der dazugehörige Nomenklator war leider nicht in den zwei Konvoluten mit Flemmings Chiffren. Es scheint aber nur eine einfache Substitutionschiffre zu sein, die man notfalls auch selbst entschlüsseln kann.

Um zehn Blatt zu transkribieren, benötige ich ca. 1h Arbeit. Dadurch ergibt sich folgende Hochrechnung:

60 Akten à 300 Blatt = 18.000 Blatt / 10 = 1.800h Transkription = 450-600 Tage für Transkription

Einige Akten sind freilich nicht so dick, und es sind auch nicht immer Vor- und Rückseite beschrieben. Aber das nehme ich als Puffer, da es an anderer Stelle länger dauert, weil sich Notizen an Skizzen für die Innenarchitektur oder auch Geheimschriften schlechter lesen und abschreiben lassen und die Entschlüsselung noch dazu kommt.

Die Übersetzung benötigt dank ChatGBT1h pro 4 Seiten. Zum Glück ist nicht alles französisch. Aber man kann von 75% ausgehen.

18.000 Blatt* 75 / 100 = 13.500 ~ 14.000

14.000/ 4 = 3.500h Übersetzung = 875 Tage für Übersetzungen

Zusätzlich lese ich noch die einschlägige Literatur. Da schaffe ich 30 Seiten pro Tag.

Geschätzt 500 Bücher über August den Starken und seine Zeit und 200 Aufsätze gibt es. Wenn ich mich auf die relevantesten Publikationen konzentriere, dürfte ich auf 300 Titel kommen. Ich nehme einen durchschnittlichen Umfang von 100 Seiten an.

300*100 = 30.000 Seiten/30 = 1000 Tage für Literaturstudium

Den Text für das Buch zu schreiben dürfte nochmals längere Zeit in Anspruch nehmen. Veranschlage ich für das Buch 200 Seiten und versuche pro Tag 2 Seiten zu schreiben, ergibt sich:

200/5 = 100 Tage für das Buchschreiben 

Die Einträge von Terminen und Orten in die Excel-Tabellen erfolgt nebenbei. Die Umgestaltung in eine Itinerarkarte, Kalender usw. wird später eine Softwarefirma übernehmen.

Insofern habe ich nur folgendes zu leisten:

600+875+1000+100 = 1475  Tage = 4,04 Jahre zuzüglich andere Tätigkeiten, Feiertage, Urlaube.

Also knappe fünf Jahre Arbeit. Ob es wirklich so lange dauert? Oder vielleicht doch länger?




Sonntag, 30. April 2023

Wie man Riesen begegnet

Mehrere Forscher haben mit Projekten dieser Ära schon Schiffbruch erlitten. Andere wagten sich gar nicht erst an die Thematik heran. Was hat die Forscher abgehalten, sich diesen Persönlichkeiten zu widmen? Waren sie feige? Waren sie Opfer einer Selbstverzwergung, war also das Projekt gar nicht so groß und sie so klein? 


 Meiner Meinung nach hatten sie gute Gründe, Respekt vor der Aufgabe zu haben. Wenn man durch ein Fernglas auf diesen Riesenberg blickt, erscheinen die Probleme unlösbar. Siebenmal ruft es einem zu: "Lass die Finger davon":

1. Die Menge der Quellen ist überwältigend.

2. Die französische Sprache ist hinderlich, und zudem wurde auch Geheimschrift angewandt.

3. Das große Personennetzwerk des Hofes ist schwer darstellbar.

4. Die zahllosen Querverweise erschweren die Arbeit.

5. Das Image Augusts des Starken ist schlecht.

6. Politikgeschichte und Biografiegeschichte sind nicht en vogue.

7. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis.

Wenn ich mein Werk ernsthaft zu einem Ende bringen möchte, werde ich gut daran tun, mich mit diesen Widerständen auseinderzusetzen. Denn ich halte das Unternehmen keineswegs für unmöglich.



Der Quellenfülle werde ich durch strukturierte Vorgehensweise begegnen. Ich werde zu jedem Hauptbestand die Archivalien zunächst erfassen und verschlagworten. Die höchste Priorität haben die Korrespondenzen von Wackerbarth und Flemming miteinander und mit dem König. Dieser Korpus umfasst ca. 60 Akten von einem Umfang von je max. 300 Seiten, was insgesamt 18.000 Blatt (max. 36.000 Seiten) macht, die zu transkribieren, evtl. zu übersetzen, zu analysieren und in Beziehung zu setzen sind. Hier wird nur helen, einfach anzufangen mit der Transkription. Wenn jeder der beiden mehrere Briefe pro Tag schrieb, ist es für einen Forscher allein aussichtslos, das ganze Briefnetzwerk ohne Teamarbeit zu erforschen.

Die Übersetzungen werde ich mit dem Googleübersetzer und meinen Fremdsprachenkenntnissen bewältigen. Für kompliziertere Passagen stehen mir Romanisten zur Verfügung.Für die Geheimschriften existieren möglicherweise die passenden Nomenklatoren. Diese sind bereits in einer Datenbank erfasst. Lediglich die vielen Nomenklatoren ohne Namens-, Orts- oder Jahresangabe sind niemandem eindeutig zuordenbar, was im Einzelfall eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen bedeuten würde. Von derlei Spezialfällen ist aber nur sehr, sehr selten auszugehen.

Das Personennetzwerk lässt sich mit Hilfe einer Excel-Liste aller erwähnten Personen durch ein Programm automatisch erstellen. Dubletten und Verwechslungen kann durch die Erfassung der Identifier (GND, VIAF) vorgebeugt werden. Den Hofstaat sichtbar zu machen ist angesichts der Bestallungen und Staatskalender keine Utopie. Eine Analyse der Verflechtung verspricht weitreichende Ergebnisse.

Eine Erfassung der Metadaten der Briefe ist Basis einer Briefdatenbank. Jeder Brief erhält eine eigene Identifikationsnummer. So können Vorgänger- und Nachfolgebriefe zugeordnet und Querverweise notiert werden. Lücken können durch die Gegenüberlieferung z.B. in polnischen Archiven evtl. geschlossen werden.

Das Image des "sächsischen Sonnenkönigs" oder gar "Playboys" wie auch Flemmings als "intrigante graue Eminenz" und Wackerbarths wahlweise als "Regisseur des Dresdner Barock" oder Mann, den "nichts interessierte, was nicht mit Militär zu tun hatte" bedarf der Revision, und nur durch die überfällige und gründliche Grundlagenforschung können festgefahrene Stereotype aufgebrochen werden. Die im Vorfeld notierten Leitfragen stellen den Kompass der Analyse dar. Ein Imageberater würde dazu raten, positive Aspekte hervorzuheben und Talente wie auch menschliche Schwächen und tiefere Gedanken darzustellen. Dorthin kommt man aber nur, wenn man sich diesen Personen wirklich so weit wie möglich annähert, indem alle verfügbaren Quellen genutzt werden. Diesen großen Namen ein möglichst umfassendes Profil zu geben, ist mir als Dresdnerin ein Bedürfnis. Auch wenn am Ende  vielleicht auch eine Bestätigung der Vorurteile steht, so muss auch die Chance genutzt werden, andere Perspektiven auf diese Persönlichkeiten zu eröffnen. Denn ich glaube nicht an eindimensionale Persönlichkeiten.

Berücksichtigung finden auch die aktuellen Tendenzen der Forschung. Durch die New Diplomatic History und die Historical Network Research, die Mikrogeschichte und die Kulturgeschichte des Politischen ist es möglich, ein modernes Profil der Politiker Flemming und Wackerbarth mit all seinen Facetten zu erstellen. 

Um den Aufwand zu rechtfertigen bedarf es einer finanziellen Strategie. Forschungsanträge zur Sächsisch-Polnischen Union an die DFG waren mehrfach abgelehnt worden, und europäische Geldgeber bedürfen eines so großen Projektrahmens, dass die Vorbereitungen sich über Jahre hinziehen würden, wie die ISGV-Bemühungen zeigen. Insofern ist es erfolgversprechender eine private Intiative zu starten und das Projekt durch Bucheinkünfte nachzufinanzieren. Eine klassische Doppelbiografie in Buchform ist m.E. nicht mehr zeitgemäß, verkauft sich auch nicht gut. Vielmehr soll im Ergebnis eine Publikation entstehen, die an der Schnittstelle von Belletristik und Sachbuch steht. Dafür stehen mehrere erfolgreiche Pbulikationen Pate (z.B. von Florian Illies). Für das Fachpublikum wird eine Website entstehen, auf der mehrere Angebote zur Recherche und Weiterarbeit verfügbar sind:

- Karte mit Itineraren

- Zeitstrahl mit Kalender für jeden einzelnen Tag

- Briefdatenbank

- Personennetzwerk

Diese Grundlagenarbeit bietet sich dann als Arbeitsmaterial und Steinbruch für folgende Arbeiten an, wenn es um die Augusteische Ära geht. Weitere Forschungsprojekte sollten dann die übrigen Minister behandeln und auch die Briefe des Grafen Brühl in derselben Qualität aufbereiten. Denn dasselbe, was für Flemming und Wackerbarth gilt, ist auch für den Grafen Brühl zutreffend: Die Forschung hat noch keine komplette Biografie hervorgebracht. Dagmar Vogel, erschlagen von der Quellenfülle, hat ihre Biografie 1738 enden lassen; auf ihren Band 1 von 2003 folgte nie eine Fortsetzung. 286 Publikationen und ein Teilarchiv mit 11 Kapseln und 43 Bänden in der SLUB und über 1000 Akten im Hauptstaatsarchiv harren noch ihrer Bearbeitung. Brühl wird abwechselnd als "Sündenbock", "Mäzen", "Intrigant" und "Preußenfeind" tituliert, mithin voller Stereotype. 

Es ist eine weitere Strophe desselben Liedes: Ein kleiner Forscher gegen einen Riesen, den es zu bezwingen gilt. Dieser Riese ist das Geschichtsbild, und die Stereotype sind seine Waffe, die Quellenvielfalt seine Größe, die Fremdsprachigkeit sein Schild und die Verflechtung hunderter Personen sein dröhnendes Lachen. Die postulierte Irrelevanz der Politikgeschichte erweist sich als Fehlannahme: Der Riese ist existent, mithin auch nicht irrelevant. Und es braucht nur einen kleinen Stein des Anstoßes und eine hohe Motivation als Schleuder, um einen solchen Riesen zu Fall zu bringen. Wenn man sich nicht selbst verzwergt, ist vieles möglich. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.




Der Forschungsstand - eine ernüchternde Analyse





Wie bereits gesagt, ist das Thema sehr vielseitig und mit einer Fülle von Quellen gesegnet. Schon vor mir haben mehrere Kollegen vor diesem Berg an Korrespondenzen kapituliert. Paul Haake (1873-1950) war um 1900 von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften beauftragt worden, die Handschriften Augusts des Starken zu publizieren. Er stellte fest, dass man diesen Corpus nicht losgelöst betrachten kann und die Informations- und Entscheidungswege auf ein umfangreiches Personennetzwerk verweisen. Der Weltkrieg behinderte sein Forschungsprojekt, das schließlich komplett zu Erliegen kam.

Haake, Professor an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (1921) und der Humboldt-Universität Berlin (1945), hat über 370 Titel publiziert, davon 15 Bücher über August den Starken. Er war ausgewiesener Experte für die sächsische und preußische Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts.

Zu DDR-Zeiten war die Ära Augusts II. fast nur für Kunsthistoriker erforschbar. In den 40 Jahren erschienen nur 40 Publikationen zu ihm: neben den ersten Veröffentlichungen des Landeshistorikers Karl Czok und des Polen Jacek Staszewski die Biografie von Georg Piltz und die Arbeit von Gabriele Hoffmann über die Geschichte der Gräfin Cosel (in mehreren Auflagen). In den letzten 34 Jahren hingegen wurden über 400 Bücher und Aufsätze zu August II. veröffentlicht.

Quelle: SLUB



Flemming war in den letzten 300 Jahren für 17 Publikationen gut, die eher biografische Abrisse darstellten. August Christoph von Wackerbarth war seit seinem Tod 20 Mal Thema einer Veröffentlichung. So widmeten einige Kunst- und Kulturhistoriker sich seines Einflusses auf idie Entstehung von Frauenkirche oder Gemäldegalerie. Die Zabeltitzer Heimatforscher um Dietmar Enge und zuletzt der Dresdner Uwe Müller haben sich in den letzten Jahren große Verdienste darum erwiesen, Wackerbarth im Bewusstsein zu halten, ohne jedoch die Archivquellen in ihrer Menge strukturiert heben und auswerten zu können. Der Militärhistoriker Christian Jentzsch zeichnete jüngst die Karriere "Vom Pagen zum Generalfeldmarschall" nach, wobei er die zivilen Ämter in ihrer Bedeutung freilich unterschätzte.

Publikationen Flemming

Publikationen Wackerbarth

 

 

Insgesamt ist das eine äußerst dürftige Ausbeute der Sächsischen Landesgeschichte, wenn man sich bewusst macht, dass es sich um die zwei wichtigsten Minister an der Seite Augusts des Starken handelt und die Friedliche Revolution schon eine Forschergeneration zurückliegt. Während in Polen seit 2000 Urszula Kosińska die Quellen zur Politischen Geschichte Augusts II. analysiert, liegen die Materialien im Sächsischen Hauptstaatsarchiv brach. Es ist an der Zeit, ausgehend von Wackerbarth und Flemming die Augusteische Ära in ihrer ganzen Breite und Tiefe aufzuarbeiten.