Sonntag, 30. April 2023

Wie man Riesen begegnet

Mehrere Forscher haben mit Projekten dieser Ära schon Schiffbruch erlitten. Andere wagten sich gar nicht erst an die Thematik heran. Was hat die Forscher abgehalten, sich diesen Persönlichkeiten zu widmen? Waren sie feige? Waren sie Opfer einer Selbstverzwergung, war also das Projekt gar nicht so groß und sie so klein? 


 Meiner Meinung nach hatten sie gute Gründe, Respekt vor der Aufgabe zu haben. Wenn man durch ein Fernglas auf diesen Riesenberg blickt, erscheinen die Probleme unlösbar. Siebenmal ruft es einem zu: "Lass die Finger davon":

1. Die Menge der Quellen ist überwältigend.

2. Die französische Sprache ist hinderlich, und zudem wurde auch Geheimschrift angewandt.

3. Das große Personennetzwerk des Hofes ist schwer darstellbar.

4. Die zahllosen Querverweise erschweren die Arbeit.

5. Das Image Augusts des Starken ist schlecht.

6. Politikgeschichte und Biografiegeschichte sind nicht en vogue.

7. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis.

Wenn ich mein Werk ernsthaft zu einem Ende bringen möchte, werde ich gut daran tun, mich mit diesen Widerständen auseinderzusetzen. Denn ich halte das Unternehmen keineswegs für unmöglich.



Der Quellenfülle werde ich durch strukturierte Vorgehensweise begegnen. Ich werde zu jedem Hauptbestand die Archivalien zunächst erfassen und verschlagworten. Die höchste Priorität haben die Korrespondenzen von Wackerbarth und Flemming miteinander und mit dem König. Dieser Korpus umfasst ca. 60 Akten von einem Umfang von je max. 300 Seiten, was insgesamt 18.000 Blatt (max. 36.000 Seiten) macht, die zu transkribieren, evtl. zu übersetzen, zu analysieren und in Beziehung zu setzen sind. Hier wird nur helen, einfach anzufangen mit der Transkription. Wenn jeder der beiden mehrere Briefe pro Tag schrieb, ist es für einen Forscher allein aussichtslos, das ganze Briefnetzwerk ohne Teamarbeit zu erforschen.

Die Übersetzungen werde ich mit dem Googleübersetzer und meinen Fremdsprachenkenntnissen bewältigen. Für kompliziertere Passagen stehen mir Romanisten zur Verfügung.Für die Geheimschriften existieren möglicherweise die passenden Nomenklatoren. Diese sind bereits in einer Datenbank erfasst. Lediglich die vielen Nomenklatoren ohne Namens-, Orts- oder Jahresangabe sind niemandem eindeutig zuordenbar, was im Einzelfall eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen bedeuten würde. Von derlei Spezialfällen ist aber nur sehr, sehr selten auszugehen.

Das Personennetzwerk lässt sich mit Hilfe einer Excel-Liste aller erwähnten Personen durch ein Programm automatisch erstellen. Dubletten und Verwechslungen kann durch die Erfassung der Identifier (GND, VIAF) vorgebeugt werden. Den Hofstaat sichtbar zu machen ist angesichts der Bestallungen und Staatskalender keine Utopie. Eine Analyse der Verflechtung verspricht weitreichende Ergebnisse.

Eine Erfassung der Metadaten der Briefe ist Basis einer Briefdatenbank. Jeder Brief erhält eine eigene Identifikationsnummer. So können Vorgänger- und Nachfolgebriefe zugeordnet und Querverweise notiert werden. Lücken können durch die Gegenüberlieferung z.B. in polnischen Archiven evtl. geschlossen werden.

Das Image des "sächsischen Sonnenkönigs" oder gar "Playboys" wie auch Flemmings als "intrigante graue Eminenz" und Wackerbarths wahlweise als "Regisseur des Dresdner Barock" oder Mann, den "nichts interessierte, was nicht mit Militär zu tun hatte" bedarf der Revision, und nur durch die überfällige und gründliche Grundlagenforschung können festgefahrene Stereotype aufgebrochen werden. Die im Vorfeld notierten Leitfragen stellen den Kompass der Analyse dar. Ein Imageberater würde dazu raten, positive Aspekte hervorzuheben und Talente wie auch menschliche Schwächen und tiefere Gedanken darzustellen. Dorthin kommt man aber nur, wenn man sich diesen Personen wirklich so weit wie möglich annähert, indem alle verfügbaren Quellen genutzt werden. Diesen großen Namen ein möglichst umfassendes Profil zu geben, ist mir als Dresdnerin ein Bedürfnis. Auch wenn am Ende  vielleicht auch eine Bestätigung der Vorurteile steht, so muss auch die Chance genutzt werden, andere Perspektiven auf diese Persönlichkeiten zu eröffnen. Denn ich glaube nicht an eindimensionale Persönlichkeiten.

Berücksichtigung finden auch die aktuellen Tendenzen der Forschung. Durch die New Diplomatic History und die Historical Network Research, die Mikrogeschichte und die Kulturgeschichte des Politischen ist es möglich, ein modernes Profil der Politiker Flemming und Wackerbarth mit all seinen Facetten zu erstellen. 

Um den Aufwand zu rechtfertigen bedarf es einer finanziellen Strategie. Forschungsanträge zur Sächsisch-Polnischen Union an die DFG waren mehrfach abgelehnt worden, und europäische Geldgeber bedürfen eines so großen Projektrahmens, dass die Vorbereitungen sich über Jahre hinziehen würden, wie die ISGV-Bemühungen zeigen. Insofern ist es erfolgversprechender eine private Intiative zu starten und das Projekt durch Bucheinkünfte nachzufinanzieren. Eine klassische Doppelbiografie in Buchform ist m.E. nicht mehr zeitgemäß, verkauft sich auch nicht gut. Vielmehr soll im Ergebnis eine Publikation entstehen, die an der Schnittstelle von Belletristik und Sachbuch steht. Dafür stehen mehrere erfolgreiche Pbulikationen Pate (z.B. von Florian Illies). Für das Fachpublikum wird eine Website entstehen, auf der mehrere Angebote zur Recherche und Weiterarbeit verfügbar sind:

- Karte mit Itineraren

- Zeitstrahl mit Kalender für jeden einzelnen Tag

- Briefdatenbank

- Personennetzwerk

Diese Grundlagenarbeit bietet sich dann als Arbeitsmaterial und Steinbruch für folgende Arbeiten an, wenn es um die Augusteische Ära geht. Weitere Forschungsprojekte sollten dann die übrigen Minister behandeln und auch die Briefe des Grafen Brühl in derselben Qualität aufbereiten. Denn dasselbe, was für Flemming und Wackerbarth gilt, ist auch für den Grafen Brühl zutreffend: Die Forschung hat noch keine komplette Biografie hervorgebracht. Dagmar Vogel, erschlagen von der Quellenfülle, hat ihre Biografie 1738 enden lassen; auf ihren Band 1 von 2003 folgte nie eine Fortsetzung. 286 Publikationen und ein Teilarchiv mit 11 Kapseln und 43 Bänden in der SLUB und über 1000 Akten im Hauptstaatsarchiv harren noch ihrer Bearbeitung. Brühl wird abwechselnd als "Sündenbock", "Mäzen", "Intrigant" und "Preußenfeind" tituliert, mithin voller Stereotype. 

Es ist eine weitere Strophe desselben Liedes: Ein kleiner Forscher gegen einen Riesen, den es zu bezwingen gilt. Dieser Riese ist das Geschichtsbild, und die Stereotype sind seine Waffe, die Quellenvielfalt seine Größe, die Fremdsprachigkeit sein Schild und die Verflechtung hunderter Personen sein dröhnendes Lachen. Die postulierte Irrelevanz der Politikgeschichte erweist sich als Fehlannahme: Der Riese ist existent, mithin auch nicht irrelevant. Und es braucht nur einen kleinen Stein des Anstoßes und eine hohe Motivation als Schleuder, um einen solchen Riesen zu Fall zu bringen. Wenn man sich nicht selbst verzwergt, ist vieles möglich. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.




Der Forschungsstand - eine ernüchternde Analyse





Wie bereits gesagt, ist das Thema sehr vielseitig und mit einer Fülle von Quellen gesegnet. Schon vor mir haben mehrere Kollegen vor diesem Berg an Korrespondenzen kapituliert. Paul Haake (1873-1950) war um 1900 von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften beauftragt worden, die Handschriften Augusts des Starken zu publizieren. Er stellte fest, dass man diesen Corpus nicht losgelöst betrachten kann und die Informations- und Entscheidungswege auf ein umfangreiches Personennetzwerk verweisen. Der Weltkrieg behinderte sein Forschungsprojekt, das schließlich komplett zu Erliegen kam.

Haake, Professor an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (1921) und der Humboldt-Universität Berlin (1945), hat über 370 Titel publiziert, davon 15 Bücher über August den Starken. Er war ausgewiesener Experte für die sächsische und preußische Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts.

Zu DDR-Zeiten war die Ära Augusts II. fast nur für Kunsthistoriker erforschbar. In den 40 Jahren erschienen nur 40 Publikationen zu ihm: neben den ersten Veröffentlichungen des Landeshistorikers Karl Czok und des Polen Jacek Staszewski die Biografie von Georg Piltz und die Arbeit von Gabriele Hoffmann über die Geschichte der Gräfin Cosel (in mehreren Auflagen). In den letzten 34 Jahren hingegen wurden über 400 Bücher und Aufsätze zu August II. veröffentlicht.

Quelle: SLUB



Flemming war in den letzten 300 Jahren für 17 Publikationen gut, die eher biografische Abrisse darstellten. August Christoph von Wackerbarth war seit seinem Tod 20 Mal Thema einer Veröffentlichung. So widmeten einige Kunst- und Kulturhistoriker sich seines Einflusses auf idie Entstehung von Frauenkirche oder Gemäldegalerie. Die Zabeltitzer Heimatforscher um Dietmar Enge und zuletzt der Dresdner Uwe Müller haben sich in den letzten Jahren große Verdienste darum erwiesen, Wackerbarth im Bewusstsein zu halten, ohne jedoch die Archivquellen in ihrer Menge strukturiert heben und auswerten zu können. Der Militärhistoriker Christian Jentzsch zeichnete jüngst die Karriere "Vom Pagen zum Generalfeldmarschall" nach, wobei er die zivilen Ämter in ihrer Bedeutung freilich unterschätzte.

Publikationen Flemming

Publikationen Wackerbarth

 

 

Insgesamt ist das eine äußerst dürftige Ausbeute der Sächsischen Landesgeschichte, wenn man sich bewusst macht, dass es sich um die zwei wichtigsten Minister an der Seite Augusts des Starken handelt und die Friedliche Revolution schon eine Forschergeneration zurückliegt. Während in Polen seit 2000 Urszula Kosińska die Quellen zur Politischen Geschichte Augusts II. analysiert, liegen die Materialien im Sächsischen Hauptstaatsarchiv brach. Es ist an der Zeit, ausgehend von Wackerbarth und Flemming die Augusteische Ära in ihrer ganzen Breite und Tiefe aufzuarbeiten.

Freitag, 21. April 2023

Brief von Wackerbarth an Flemming, 19. Januar 1704

Über das Verhältnis der beiden berichtet schon der erste Brief meiner "Probebohrung". Ich habe ihn transkribiert und aus dem Französischen übersetzt.

Wackerbarth schrieb als Gesandter aus Wien, wo er seit 1698  - mit Unterbrechungen - war. Er macht die Belastungen, denen er ausgesetzt war, deutlich und wendet sich vertrauensvoll an seinen "Bruder". 



Brief von Wackerbarth aus Wien an Flemming, 19. Januar 1704

Sehr verehrter Herr Bruder,
Niemand freut sich mehr als ich, Eurer Exzellenz in Bezug auf die Collatio [den Vergleich] hier ​​zufrieden stellen zu können. Der Überbringer wird die Ausführung ganz in Ihre Hände legen; ich halte all mein Verlangen zurück und habe die Hoffnung, dass Sie mir  einen zusätzlichen Kontrakt geben werden, und nun folgt, was ich wünsche.
Machen  [Erhöhen] Sie es [das Geld] bis zu 500 fl., weil Sie es aus der beigefügten Quittung des Absenders ersehen, außerdem habe ich noch 30. fl. als Gratial [Dankbarkeitsgeste] in der Kanzlei bezahlt, da es dort üblich ist, bei einer solchen Zusammenkunft ein kleines Präsent zu überreichen. Ich musste dieses Geld leihen, da es 100 und mehr oder weniger Gulden sein werden, weil sich hier jeder präsentiert und die Knappheit so groß ist, dass die gleichen Bankiers, die  sonst 1000. und mehr Gulden vorschießen, mir vorerst keine 10. für das Geschenk geben können. Selbst wenn ich überhaupt noch Kredit hätte, wäre sozusagen kein Geld da. Mein Silberbesteck habe ich schon eingeschmolzen, um meine Gläubiger zu bezahlen, und meinen Sekretär habe ich nach Sachsen geschickt, um meine Vorschüsse und mein Gehalt zu erbitten, da seit einiger Zeit von Mal zu Mal niemand mehr daran denkt, mich hier zu bezahlen. Er hat Auftrag [mich] bei Ihnen zu vertreten und Ihnen diesen Stand in meinen Angelegenheiten mitzuteilen und um Ihre Unterstützung zu bitten, um die ich Sie sehr demütig bitte.
Der König hebt mich heraus, wenn ich ihn um die Gnade bitte, es zu wagen, an den Hof zu kommen, und will, dass ich hier sterbe, zur gleichen Zeit wird mir gesagt, dass ich dort leben muss, aber ich werde nichts sagen, wenn ich stoisch dem Staat und Maitre auf eigene Kosten zu dienen habe. Aber sind es nicht die Umstände ihm zu sagen, dass ich ihm hier notwendig bin. Da ist es nur richtig, dass man mich auch unterhält. Ich wünschte, dass Sie eine halbe Stunde mit mir sprechen könnten, damit ich meine Seele erleichern und unter uns meine Sorgen anvertrauen könnte.
Kürzlich hatte ich einen Zeitungsbericht, der mir ins Herz drang. Man wirft mir Unachtsamkeit vor hinsichtlich eines Vertrages, von dem man mir versichert hat, ob er abgeschlossen ist oder nicht, zwischen dem Kaiser und dem König von Preussen bezüglich Glogau und  Sagan und nicht von... [?], dass es ein realitätsferner Vertrag ist, woran noch nie gedacht wurde. Sie reden in einer Weise über mich, als hätte ich die Interessen des Maistre vernachlässigt; Hier kommt noch das Angenehme an der Funktion des Gesandten dazu, dass man ihm seine Außlößung [sic!] nicht mehr zahlt, und dieser Freund mir auf Befehl, wenn er nicht davon absteht, mir nicht die Hälfte von dem gibt, was wir gewohnt sind an andere zu geben, // die nicht verpflichtet sind, mehr zu tun// oder ihrerseits nicht verpflichtet sind, mehr Aufwand und mehr Aufwand zu leisten als ich.
All dies, mein lieber Bruder, um freiheraus mit Ihnen zu sprechen, sollte mir sagen, dass ich nicht denselben Anteil am Wohlwollen Seiner Majestät haben soll. Ich weiß nicht einmal, ob ich mir dieses Vorgehen  einbilde. Es handelt sich um einen Fall von mir und meinem Dienst, bei dem ich lieber ein Almosen nehme, als einem Fürsten zur Last zu fallen, der mich nicht mehr liebt. Ich kann mich nicht erinnern, irgendjemandem an unseren Höfen das Geringste getan zu haben, also weiß ich nicht, ob ich Feinde habe, die mir diesen guten Dienst erweisen, oder was ich zumindest geschrieben habe. Der Großmarschall, der nur ein halber Freund ist //Freunde hatten mich gewarnt// hat mir mitgeteilt, dass er sich auf meine Seite gestellt hat, damit ich ihm dankbar wäre. Aber ich habe ihm nicht gesagt, dass Sie es waren, von dem ich diesen Hinweis habe. Ich bitte Sie, mit ihm vereinbaren, dass die Anordnungen zur Zahlung meines Gehalts sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft erteilt werden oder dass Sie mir zumindest sagen, woran ich bin. Ich schrieb auch an Herrn von Bose, um ihn zu bitten, mir mein Gehalt aus der Kriegskasse zu geben, zusätzlich zum Gehalt von Generalmajor.
Ich habe noch Anspruch auf acht Monate Gehalt als Lagergeneral, für welche Zeit ich glaube, der einzige im Dienst des Königs zu sein, dem nicht zugestimmt wurde, da man ihm alles nehmen kann. Er versicherte mir, immer einer meiner Freunde zu sein, ich zweifle nicht daran, dass er nach Ihrer Fürsprache alle gewünschten Überlegungen anstellen wird. Verzeihen Sie mir, mein lieber Bruder, wenn ich Sie so mit meinen eigenen notwendigen Interessen belaste. Ihre Sanftheit und gutes Herz verpflichten mich dazu.
Zu dem, was ich Ihnen gerade offen gesagt habe, beschwöre ich Sie, damit ich weiß, woran ich bin, sagen Sie mir, wenn Sie in meiner Sache zut Seiner Majestät gehen, wie ich es mir vorstelle. Falls das nicht möglich ist, werde ich Ihnen etwas unter vier Augen hinzufügen, was los ist.
Ich bin völlig Eurer Exzellenz ganz bescheidener und freundlicher AC von Wackerbarth



Donnerstag, 20. April 2023

Neues Projekt "Wackerbarth und Flemming" - Der erste Monat

Am 24. März startete ich ein neues Projekt unter dem Arbeitstitel "Wackerbarth und Flemming". Es ist mein Herzensprojekt, von dem ich schon seit vielen Jahren träume.



August Christoph von Wackerbarth (1662-1734) und Jakob Heinrich Flemming (1667-1728) waren die Stützen Augusts des Starken. Wackerbarth wurde als Bauminister zum "Regisseur des Dresdner Barock", war aber auch als Gouverneur und Generalfeldmarschall für die Verteidigung und Militärpolitik zuständig und darüberhinaus langjähriger Gesandter am Wiener Hof. Er beriet den König als Kabinettsminister und war auch in seinem Geheimbund vertreten. Nicht zuletzt hat er sichin Sachsen für den Weinanbau eingesetzt - weshalb heute noch der Wackerbarth-Sekt bekannt ist - und das Ingenieurbildungswesen reformiert. Er kann als einer der Väter der deutschen Ingenieurskunst gelten.

Flemming seinerseits ist in Sachsen als intriganter Minister in Verruf geraten, da er August dem Starken die Finanzen für die Königswahl in Polen organisierte und in der Geschichtsschreibung sehr schlecht dargestellt wurde. Allerdings waren seine Beziehungen zu Polen und sein Organisationsgeschick für den König von unschätzbarem Wert. Er war dirigierender Kabinettsminister und ebenso wie Wackerbarth Gesandter, Gouverneur und Generalfeldmarschall. 

Beide standen sich sehr nahe und betitelten sich als "mon chére frere". Bislang steht eine Biografie dieser zentralen Akteure noch aus. Die Landesgeschichtsforschung hat sich an die überbordende Menge der Quellen der Augusteischen Ära noch nicht herangewagt. Und in der Tat ist es eine schier unübersehbare Menge Arbeit. Allein im Sächsischen Hauptstaatsarchiv lagern:

47 Akten Korrespondenzen zwischen Wackerbarth und Flemming

9 Akten Korrespondenzen zwischen dem König und Flemming

4 Akten Korrespondenzen zwischen dem König und Wackerbarth

614 Akten tragen Wackerbarths Namen im Titel

1312 Akten tragen Flemmings Namen im Titel.

Darüberhinaus sind Dutzende Bestände durchzusehen nach weiterem, in anderen Akten liegenden Material über die beiden Minister. Es sind auch weitere Archive zu besuchen: das Dresdner Stadtarchiv, 27 weitere Archive in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, 14 Archive in Deutschland, 30 Archive in Europa. Ein Lebenswerk.

Das Ziel ist die wissenschaftliche Erschließung der Korrespondenzen dieser zwei wichtigsten Minister von August dem Starken. Im Ergebnis soll eine Doppelbiografie geschrieben werden und eine Website entstehen, auf der die Quellen in Form einer Datenbank (mit Übersetzung), Itineraren, Netzwerken und Kalender für die Jahre 1691-1734 recherchierbar sind.

Die Arbeit zu strukturieren ist nicht schwer.

1. Aufnahme der Metadaten 

2. Lektüre der  Quellen - Transkription - Übersetzung

3. Analyse mithilfe von Fachliteratur

4. Verschriftlichung des Textes

5. Einrichtung von Frontend und Backend

In der ersten Woche habe ich neun Bücher aus der SLUB ausgeliehen, um mir für einen DFG-Antrag theoretisches Rüstzeug zu holen. Die Bücher behandeln Sicherheit in der Frühen Neuzeit, globale Wissensgeschichte, Mikrogeschichte und aktuelle Forschungen zur Frühen Neuzeit.

Die bereits voriges Jahr erstellte Access-Datenbank für Akten wurde nun mit den ersten Quellen gefüllt und weiter verbessert. Vom Grafen Wackerbarth sind 36 Akten digitalisiert, vom Grafen Flemming 206 Akten. In ein Access-Formular werden die Akten mit Metadaten und Inhaltsangabe eingetragen, in ein anderes die Briefe transkribiert. Eine weitere Excel-Tabelle enthält den Kalender, wo ich für den König, Wackerbart und Flemming jeweils aus den Quellen ihr Tagewerk zu rekonstruieren versuche. In einer anderen Excelliste werden die Aufenthaltsorte mit Datum notiert, so dass sich am Ende ein Itinerar erstellen lässt.

Die Personendatenbank zu führen ist am aufwändigsten, da sie gleich alle Metadaten für ein  Personennetzwerk enthalten muss. Das bedeutet, dass für jede erwähnte Person Namen, Vornamen, Titel, Lebens- und Sterbedaten sowie die Identifizierungsnummer GND und VIAF eingetragen werden muss. Nach einem Monat enthält die Liste 41 Personen.

Für die umfangreiche Literatur habe ich eine eigene Access-Datenbank für Literatur angelegt. Die verfügbaren Literaturdatenbanken sind alle kostenpflichtig, sobald man einen gewissen Umfang an Datensätzen benötigt. Und da ich mit Access inzwischen Übung habe und die Excel-Tabellen erfahrungsgemäß zuverlässig funktionieren, habe ich mich dafür entschieden, mein eigenes Ding zu machen. Ich kann stolz darauf sein, dass ich diese Datenbank in drei Stunden auf die Beine gestellt habe. Auch diese Datenbank habe ich mit der Realität abgeglichen, indem ich schon mehrere Titel, die ich lesen werde, eingegeben habe. Dabei bin ich auch auf einen Fund gestoßen, der mich aufhorchen lässt: ein mir bislang unbekannter Kupferstich in einer holländischen Übersetzung einer Publikation über Wackerbarth von 1735.

 


Das Handwerkszeug ist also bereit - bis auf Kinderkrankheiten, die sich Stück für Stück beseitigen lassen. 

So hat die Aktendatenbank noch keine zufriedenstellende Verschlagwortung. Deshalb habe ich eine weiteres Feld eingefügt. Unter "Ressorts" werde ich jeder Akte zuordnen, ob sie zur Außenpolitik, Wirtschaftspolitik usw. gehört. Die Schlagworte sind dann spezieller. Für die Einrichtung dieses neuen Feldes habe ich zwei Stunden gebraucht. Ich muss nur noch die Mehrfachauswahl einrichten; das ist immer eine kompliziertere Sache und ich hab's schon mal hingekriegt, ich weiß nur nicht, wie.

Nach vier Wochen enthält die Archivaliendatenbank 167 Akten. Am ersten Archivtag habe ich drei Briefe abgeschrieben und die Instruktion für die Gouverneure zu einem Drittel transkribiert. Zudem habe ich im Archiv unveröffentlichte Manuskripte von anderen Forschern entdeckt. Das Archiv ist eine Goldgrube, und ich wünschte, ich wäre nach sechs Stunden nicht so müde, sondern könnte Tag und Nacht weitermachen. Am besten wäre es, ich wäre mal nachts im Archiv oder in der Bibliothek eingeschlossen...