Mehrere Forscher haben mit Projekten dieser Ära schon Schiffbruch erlitten. Andere wagten sich gar nicht erst an die Thematik heran. Was hat die Forscher abgehalten, sich diesen Persönlichkeiten zu widmen? Waren sie feige? Waren sie Opfer einer Selbstverzwergung, war also das Projekt gar nicht so groß und sie so klein?
1. Die Menge der Quellen ist überwältigend.
2. Die französische Sprache ist hinderlich, und zudem wurde auch Geheimschrift angewandt.
3. Das große Personennetzwerk des Hofes ist schwer darstellbar.
4. Die zahllosen Querverweise erschweren die Arbeit.
5. Das Image Augusts des Starken ist schlecht.
6. Politikgeschichte und Biografiegeschichte sind nicht en vogue.
7. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis.
Wenn ich mein Werk ernsthaft zu einem Ende bringen möchte, werde ich gut daran tun, mich mit diesen Widerständen auseinderzusetzen. Denn ich halte das Unternehmen keineswegs für unmöglich.
Die Übersetzungen werde
ich mit dem Googleübersetzer und meinen Fremdsprachenkenntnissen
bewältigen. Für kompliziertere Passagen stehen mir Romanisten zur
Verfügung.Für die Geheimschriften existieren möglicherweise die passenden Nomenklatoren. Diese sind bereits in einer Datenbank erfasst. Lediglich die vielen Nomenklatoren ohne Namens-, Orts- oder Jahresangabe sind niemandem eindeutig zuordenbar, was im Einzelfall eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen bedeuten würde. Von derlei Spezialfällen ist aber nur sehr, sehr selten auszugehen.
Das Personennetzwerk lässt sich mit Hilfe einer Excel-Liste aller erwähnten Personen durch ein Programm automatisch erstellen. Dubletten und Verwechslungen kann durch die Erfassung der Identifier (GND, VIAF) vorgebeugt werden. Den Hofstaat sichtbar zu machen ist angesichts der Bestallungen und Staatskalender keine Utopie. Eine Analyse der Verflechtung verspricht weitreichende Ergebnisse.
Eine Erfassung der Metadaten der Briefe ist Basis einer Briefdatenbank. Jeder Brief erhält eine eigene Identifikationsnummer. So können Vorgänger- und Nachfolgebriefe zugeordnet und Querverweise notiert werden. Lücken können durch die Gegenüberlieferung z.B. in polnischen Archiven evtl. geschlossen werden.
Das Image des "sächsischen Sonnenkönigs" oder gar "Playboys" wie auch Flemmings als "intrigante graue Eminenz" und Wackerbarths wahlweise als "Regisseur des Dresdner Barock" oder Mann, den "nichts interessierte, was nicht mit Militär zu tun hatte" bedarf der Revision, und nur durch die überfällige und gründliche Grundlagenforschung können festgefahrene Stereotype aufgebrochen werden. Die im Vorfeld notierten Leitfragen stellen den Kompass der Analyse dar. Ein Imageberater würde dazu raten, positive Aspekte hervorzuheben und Talente wie auch menschliche Schwächen und tiefere Gedanken darzustellen. Dorthin kommt man aber nur, wenn man sich diesen Personen wirklich so weit wie möglich annähert, indem alle verfügbaren Quellen genutzt werden. Diesen großen Namen ein möglichst umfassendes Profil zu geben, ist mir als Dresdnerin ein Bedürfnis. Auch wenn am Ende vielleicht auch eine Bestätigung der Vorurteile steht, so muss auch die Chance genutzt werden, andere Perspektiven auf diese Persönlichkeiten zu eröffnen. Denn ich glaube nicht an eindimensionale Persönlichkeiten.
Berücksichtigung finden auch die aktuellen Tendenzen der Forschung. Durch die New Diplomatic History und die Historical Network Research, die Mikrogeschichte und die Kulturgeschichte des Politischen ist es möglich, ein modernes Profil der Politiker Flemming und Wackerbarth mit all seinen Facetten zu erstellen.
Um den Aufwand zu rechtfertigen bedarf es einer finanziellen Strategie. Forschungsanträge zur Sächsisch-Polnischen Union an die DFG waren mehrfach abgelehnt worden, und europäische Geldgeber bedürfen eines so großen Projektrahmens, dass die Vorbereitungen sich über Jahre hinziehen würden, wie die ISGV-Bemühungen zeigen. Insofern ist es erfolgversprechender eine private Intiative zu starten und das Projekt durch Bucheinkünfte nachzufinanzieren. Eine klassische Doppelbiografie in Buchform ist m.E. nicht mehr zeitgemäß, verkauft sich auch nicht gut. Vielmehr soll im Ergebnis eine Publikation entstehen, die an der Schnittstelle von Belletristik und Sachbuch steht. Dafür stehen mehrere erfolgreiche Pbulikationen Pate (z.B. von Florian Illies). Für das Fachpublikum wird eine Website entstehen, auf der mehrere Angebote zur Recherche und Weiterarbeit verfügbar sind:
- Karte mit Itineraren
- Zeitstrahl mit Kalender für jeden einzelnen Tag
- Briefdatenbank
- Personennetzwerk
Diese Grundlagenarbeit bietet sich dann als Arbeitsmaterial und Steinbruch für folgende Arbeiten an, wenn es um die Augusteische Ära geht. Weitere Forschungsprojekte sollten dann die übrigen Minister behandeln und auch die Briefe des Grafen Brühl in derselben Qualität aufbereiten. Denn dasselbe, was für Flemming und Wackerbarth gilt, ist auch für den Grafen Brühl zutreffend: Die Forschung hat noch keine komplette Biografie hervorgebracht. Dagmar Vogel, erschlagen von der Quellenfülle, hat ihre Biografie 1738 enden lassen; auf ihren Band 1 von 2003 folgte nie eine Fortsetzung. 286 Publikationen und ein Teilarchiv mit 11 Kapseln und 43 Bänden in der SLUB und über 1000 Akten im Hauptstaatsarchiv harren noch ihrer Bearbeitung. Brühl wird abwechselnd als "Sündenbock", "Mäzen", "Intrigant" und "Preußenfeind" tituliert, mithin voller Stereotype.
Es ist eine weitere Strophe desselben Liedes: Ein kleiner Forscher gegen einen Riesen, den es zu bezwingen gilt. Dieser Riese ist das Geschichtsbild, und die Stereotype sind seine Waffe, die Quellenvielfalt seine Größe, die Fremdsprachigkeit sein Schild und die Verflechtung hunderter Personen sein dröhnendes Lachen. Die postulierte Irrelevanz der Politikgeschichte erweist sich als Fehlannahme: Der Riese ist existent, mithin auch nicht irrelevant. Und es braucht nur einen kleinen Stein des Anstoßes und eine hohe Motivation als Schleuder, um einen solchen Riesen zu Fall zu bringen. Wenn man sich nicht selbst verzwergt, ist vieles möglich. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.