Da laufen sie, Pünktchen und Anton aus Erich Kästners Kinderbuch. Hand in Hand und ein Herz und eine Seele. Es gibt viele Menschen, mit denen wir emotional verbunden sind, und die wir gerade nicht eben mal an die Hand oder in den Arm nehmen können. Aber es gibt diese Leute, die mir etwas bedeuten, weil ich mit ihnen etwas schaffe oder gestalte. Oft genug wissen diese Menschen gar nicht, wieviel sie Anteil an meinem Tun und Lassen haben. Denn ehrlich gesagt, fasse ich zu selten den Mut, ihnen zu danken für ihre Inspirationen, für die Worte, die sie sagen, für die Blicke, mit denen sie mich bedenken, für die kleinen Gesten und für die unbewusste Hilfe.
Ich habe dieses Pünktchen-und-Anton-Bild schon lange in meinem Computer, weil es mich jedesmal anrührt und erinnert an Leute, mit denen ich Hand in Hand ein kleines Stück durch mein Leben gelaufen bin. Und dieser Tage an der Schule werde ich mir erst richtig bewusst, wie stark ich von meinen Lehrern geprägt bin.
Ganz oben steht meine Grundschullehrerin, der ich im Nachhinein soviel Respekt zolle, weil ich bei ihr wirklich fürs Leben gelernt habe und da schon erfahren durfte, was einen richtig guten Pädagogen ausmacht. Sie hat mich ermuntert, meine kleinen Kurzgeschichten zu meinen Plüschtieren weiter zu schreiben und ihr zum Lesen zu geben. Und sie antwortete: "Weiter so!", "Schön!" oder "Wie mag es wohl weitergehen?". Und fast prophetisch schrieb sie einmal darunter: "Vielleicht wirst du ja mal eine Lesung über deine Werke halten". (P.S. Das Bild dieser handschriftlichen Notiz füge ich später ein, da ich gerade nicht zu meinen Eltern kann, wo meine Kurzgeschichten noch aufbewahrt sind). Mein ganzer Sprachschatz begann bei ihr. Nie konnte ich ihr sagen, wieviel sie mir bedeutet hat und wieviel ich von dieser Grundschulzeit heute noch zehre. Sie ging bald in Rente und dürfte heute schon tot sein.
Von meinen Schullehrern haben es kaum eine Handvoll in mein Herz geschafft. Es waren die echten Typen, die ihren Charakter hatten und ihr Fach mit vollem Enthusiasmus vertraten. Und - Überraschung! - es waren nicht die Geschichtslehrer mit ihrer spröden Art und den immergleichen hellblauen Quellen-Kästchen im Lehrbuch ("Lies Quelle 1 und fasse zusammen!") . Dass dieser stupide Geschichtsunterricht nicht mein inneres Feuer an der Geschichte erstickt hat, ist heute noch ein Wunder. Ich hatte ein Abo auf Dreien und in meiner gesamten Schulzeit nur einmal in Geschichte eine 1 - beim Dreißigjährigen Krieg, und den hab ich mir selbst interessant gemacht. Also, Geschichtslehrer waren für mich keine prägenden Lehrerpersönlichkeiten. Sondern ein cholerischer Lateinlehrer mit einem Faible für Sprache, einem Instinkt für Talente und einem generalstabsmäßigem Management, von dem ich mir viel abgeguckt habe. And die Exkursionen nach Rom und Griechenland habe ich unvergessliche Erinnerungen. Außer ihm gab es eine junge Englischlehrerin, die durch ihre Fröhlichkeit bestach und alles nicht so bierernst nahm, und einen hageren Pfarrer, der seelenruhig Religion unterrichtete und mich immer wieder nachdenklich machte. Von vielen anderen Lehrern habe ich noch die Namen oder ein paar Kleinigkeiten im Kopf, aber richtig was fürs Leben mitgenommen habe ich nur von diesen, weil sie gewissermaßen auf meinem Kanal sendeten. Vielleicht haben weniger introvertierte Menschen mehr Ausbeute an lebensprägenden Lehrern.
Jenseits der Schullehrer war mir unsere Katechetin sehr wichtig, die uns Nächstenliebe vorlebte und soviel Sanftheit verströmte, wie man als kleiner Mensch braucht. Als sie fortging, war für mich die Straße sehr leer. Ich erinnere mich auch voller Dankbarkeit und innerem Strahlen an meinen Klavierlehrer, einen dynamischen jungen Mann im Stil von Michael Stich, der mir die schönsten Stücke so menschlich einfühlsam und locker beibrachte. Was haben wir auch für Spaß gehabt! Noch heute, wenn ich am Klavier sitze, flätzt er unsichtbar neben mir in seinem braunen Ledersessel und wippt mit den Turnschuhen oder schnalzt mit der Zunge. Ich habe seine handschriftlichen Einträge in den Noten jedes Mal vor mir und erfreue mich daran. Wie habe ich Rotz und Wasser geheult, als sich unsere Wege damals trennten!
Sie alle waren es, die mich als Kind prägten, gewissermaßen unsichtbar meine kleine Hand nahmen und mich ein Stück des Wegs begleiteten. Ich hatte großes Vertrauen zu ihnen und wollte sie eigentlich nie verlieren. Aber irgendwann enden Lebensabschnitte, und das Beste, was die Menschen einem mitgeben können, sind schöne Erinnerungen und ein paar Fertigkeiten.
Heute trage ich die Verantwortung für das geografische Gerüst von 150 Kindern. Woran sollen sie sich einmal erinnern, wenn sie an mich denken? Ich hoffe, nicht daran, dass sie im Corona-Jahr drei Geografielehrer in einem Schuljahr hatten, und als Drittes kam eine kleine hyperaktive Frau, die wie Ofenruß hieß und die dauernd Spiele, Experimente und Gruppenarbeiten gemacht hat. Obwohl es sicher Schlimmeres gibt.
All jene, die nicht als Lehrer in meinem Leben eine Rolle spiel(t)en, möchte ich allerdings nicht unter den Teppich kehren. Es sind ihrer viele, und ich gehe von ihnen beeinflusst durchs Leben. Sie lassen mich von ihrem Licht kosten, lassen mich sein, wie ich bin - mit meinem Esprit und ohne die ruhige Eleganz einer heutigen Frau von Welt. Auch wenn ich mich oft genug von dieser Zeit, dieser Welt zurückziehe, weiß ich: Wir gestalten unser Leben miteinander. Ich profitiere von ihnen und dass sie von mir profitieren, lerne ich nun auch langsam (auch wenn ich es noch nicht glauben kann). "Netzwerk" ist nur ein Wort, aber die Energie, die da hin- und herfließt, wird mir immer erst deutlich, wenn ich mir ausmale, was mir fehlen würde, wenn dieser Mensch nicht da wäre.
Ein Lied bringt dieses Gefühl der Verbundenheit sehr gut zum Ausdruck - es mag als Liebeslied geschrieben sein, aber wenn man den Schmalz wegdenkt, ist es ein wirklich ergreifender Song über Nähe zwischen den Menschen. In der zweiten Strophe heißt es:
Let me enter your light
Wanna show you my passion
We can make each other happy if we get it right
Menschliebe, Licht und Glück - dieser Blogbeitrag ist nun am Ende doch weihnachtlicher geworden als geplant. Angesichts der Pandemie habt ihr bestimmt nicht gedacht, dass ich aus den händchenhaltenden Kästner-Kindern Pünktchen und Anton diese Predigt über Lehrerpersönlichkeiten und menschliche Nähe schreibe. Aber so entwickelt sich manchs eben. Und ich habe etwas gelernt während der letzten Stunde: Ich habe schon etlichen Menschen vertraut, und meistens hat es sich gelohnt, und manchmal sogar richtig, richtig viel. Und ich will denen, die ich noch nicht aus den Augen verloren habe, gerne sagen, was sie mir bedeuten. Heute hier, morgen dort. Dem Lateinlehrer habe ich übrigens vorigen Monat mal meine Reverenz erwiesen, und er hat sich "tierisch gefreut". Punkt, Punkt, Pünktchen.
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