Das war eine kurze Freude. Ich habe bis Dienstag hospitiert, am Mittwoch und Donnerstag drei Klassen kennengelernt, zwei Nachschreibeklausuren beaufsichtigt und mich mental auf den Lockdown eingestellt. Ich habe die ersten Stundenvorbereitungen mit viel Freude gemeistert und dabei gemerkt, dass ich in Echtzeit vorbereite: 90 min Unterricht brauchen etwa genausoviel Vorbereitungszeit. Ein Lehrer, der also 32 Unterrichtsstunden in Vollzeit gibt, hat locker eine 60-Stunden-Woche. Für mich war es eine besondere Herausforderung, mich mit dem Digital Screen anzufreunden, denn es gibt keine klassische Kreidetafel mehr, sondern nur noch ein Whiteboard und den Screen, auf dem man seine Präsentation zeigen, Filme anschauen und mit einem digitalen Stift schreiben und allerlei Sachen machen kann. Es wird noch Wochen dauern, bis ich damit routiniert umgehen kann. Ich habe höchsten Respekt vor dem Ding, schätze aber auch die Möglichkeiten, mit einem Klick auf Erklärvideos und Bilder zugreifen zu können und viel Papierkram sparen zu können. Noch fühle ich mich mit einem Stift am Whiteboard wohler, wo nichts "passieren" kann.
Die Kinder reagierten unterschiedlich: eine Oberschulklasse war sehr eifrig, eine Gymnasialklasse ziemlich undiszipliniert und nervenaufreibend, eine 9. Klasse extrem behäbig und desinteressiert. In den 5. Klassen habe ich nach meiner Vorstellung sich die Kinder einzeln vorstellen lassen mit Antworten auf drei Fragen: Welches Tier mit dem Anfangsbuchstaben deines Vornamens würdest du wählen? Welches Hobby hast du? Welcher Ort auf der Welt ist dir der liebste? Es kamen erwartbare, aber auch überraschende Rückmeldungen. Eine Klasse besteht zu einem Drittel aus Klavierspielern, viele Mädchen reiten oder tanzen regelmäßig, die Jungs mögen Fußball und Lego. Ich hörte zweimal "lesen" und je einmal "töpfern", "zaubern", "fotografieren", "Schach" und "nähen". Aber von 50 Kindern gab es auch nur eines, das als Hobby ihr Handy und Chillen angab. Die Lieblingsorte waren Fußballplatz, Schwimm- oder Sporthalle und zu Hause, aber auch die Sächsische Schweiz, der Spreewald, ein Plätzchen am Lockwitzbach, Hawaii, Fuerteventura, Mallorca und Australien sowie die berühmten Städte dieser Welt von New York über Paris bis Venedig. Ein Kind sagte: "Egal, da wo man keine Maske tragen muss." Die genannten Tiere reichen von der Amsel bis Libelle, Mammut, Schlange und Zebra. In der 9. Klasse sollten die Teenager mir sagen, was sie im Unterricht gern mal machen würden. Zwanzigmal war die Antwort: "Keine Ahnung", vier Ideen brachten sie hervor: Musik, Stundenaufgaben, Dokumentarfilme und - passend zum Lehrplanjahresthema Asien: asiatisches Essen. Nur, dass ein Klassenbuffet bis Juni derzeit nicht sehr realistisch ist.
Ich habe mich inzwischen auch im Schulhaus orientiert und habe gemerkt, dass in dem großen Schulhaus für 800 Kinder nur eine Lehrertoilette
existiert, die locker 5min Fußweg vom Vorbereitungszimmer entfernt ist.
Der Bibliothekar ist in Quarantäne, die Integrationslehrerin ebenso. Jeder Lehrer muss alle 20-30min lüften und am Ende der Stunde alle Tische desinfizieren, so dass da keine Zeit für eine eigene Pause bleibt. Ich habe die Mensa und die Hausmeister und die Stundenplanerinnen kennengelernt, meine erste Aufsicht in der Mittagspause gehabt (und zwei Jungs zum Aufkehren der rumgeballerten Erbsen verdonnert) und mich mit den fünf Kollegen im Vorbereitungszimmer angefreundet, ohne sie auch nur einmal berührt zu haben. In einer Nacht- und Nebelaktion habe ich schnell eine eingesammelte Hausaufgabe benotet, um für das Halbjahreszeugnis schon mal eine Note sicher zu haben. Zwischen einem geschmückten Bäumchen und einem halbgeöffneten liebevoll gestalteten bunten Schul-Adventskalender aus Schuhkartons habe ich der Sekretärin als letzte Amtshandlung ein frohes Weihnachtsfest gewünscht - am 11.12. wohlgemerkt. Es war skurril.
Der Lockdown war zu erwarten, und ich habe ihn eigentlich viel eher erwartet und auch schon viel eher befürwortet. Heute haben wir in Dresden noch 44 freie Krankenhausbetten und 12 Intensivbetten. Es sind 227 Neuinfektionen in 24 Stunden und sechs Verstorbene. Die Corona-Ampel zeigt 344. Die Kinder haben sich jetzt mit Aufgaben aus der Cloud zu beschäftigen. Und es ist schade, dass einige Sachen nicht stattfinden können: Das ganze Weihnachtsprogramm der Schule fiel aus, u.a. Kirchenbesuch, Jahresabschlussolympiade und Weihnachtstheater. Exkursionen, Klassen-Experimente und Gruppenarbeiten, gemeinsames Musizieren und Singen waren schon seit zwei Wochen untersagt. In der Unterrichtsmethodik waren wir sehr eingeschränkt. Ein Thema, was sich für Stationenarbeit oder Gruppenpuzzle angeboten hätte, habe ich in Form von selbst gestalteten Quartettkarten, die zwischen den Bankreihen getauscht wurden, angeboten. Die Kinder haben sich gut mit der Situation arrangiert, aber alles ist wie von einem unsichtbaren Schleier von Unsicherheit, Sorge und Verkrampfung umgeben.
Ich habe ein paar Mal meinen Arbeitsweg genießen dürfen: statt lesen in der Straßenbahn lieber 15min Radtour an der frischen Luft entlang einer Hauptstraße und dann durch eine Kleingartenanlage und über
Nebenstraßen. Ich habe auf dem Hinweg Podcastfolgen gehört und auf dem
Rückweg die erholsame Ruhe genossen, bevor ich meine zweite Schicht als
Mama begann. Mein großer Sohn ist schon in Sicherheits-Quarantäne gewesen und hat 14 Tage Wohnungsarrest hinter sich gebracht. Wie befreit war er, endlich wieder auf der Straße geradeaus laufen zu dürfen! Wie genossen hat er den Himmel über sich und die frische Luft! Seit gestern nun ist der Kleine in Quarantäne, weil die Erzieherin positiv getestet wurde. Es sind besondere Zeiten. Es sind historische Ereignisse, und - frei nach Goethe: Wir können sagen, wir sind dabei gewesen. Goethe und Schiller, die Freunde, so ganz ohne 1,50 Abstand. Man könnte neidisch werden.
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