Dienstag, 30. Mai 2023

Ein süßer Wein



 Das Projekt nimmt Fahrt auf. Ich habe nun insgesamt 121 Stunden gearbeitet: die meiste Zeit ging für die Transkription drauf (33 Stunden). Dabei habe ich in einer Akte erst Seite 50 erreicht. Das ist gerade ein Fünftel der Akte und 0,5% aller Korrespondenzen, wenn man von 300 Seiten pro Akte ausgeht. Das ist ganz schön ernüchternd. Aber die 34 Briefe, die bislang in der Briefdatenbank stehen, sind schon an sich ein Fundus an Informationen.

Wackerbarth klagt nicht mehr aus Wien, sondern ist, wir schreiben das Jahr 1704, inzwischen an die Front des Spanischen Erbfolgekrieges nach Landau gezogen. Er begegnet dem Herzog von Marlborough, der den Oberbefehl über die Unionstruppen führt und den er stets nur "Milord Duc" benennt. Kurz und dennoch vielsagend lässt er Flemming wissen, dass Milord vor der Eroberung von Landau das Lager verlassen hat: "il pourroit mieux emplojer ce tems ailleurs" (er kann seine Zeit woandern besser verwenden). Ist das neutral oder sarkastisch gemeint? Er verkneift sich jeden Kommentar, aber schreibt ein paar Zeilen später: "Voila mon cher frere ce qui engage Milord a quiter cet armée, avant que Landau soit pris." (Bitte sehr, mein teurer Bruder, das ist es, warum Milord die Armee verlässt, bevor Landau eingenommen ist).  Flemming darf sich seinen Teil dazu denken.

Dem Brief beigefügt hat er die offizielle Bericht an den König. Dort heißt es ausführlicher  - übrigens nicht in Französisch, sondern auf Deutsch! - "Nachdem sich die hiesige Belagerung weiter hinan ziehet, als man vermuthet, herentgegen der Winter mit dem Schlamm und Wetter herannahet und sdie sehr Strappezierte Armee insonderheit ruinirte Cavallerie zeitluse Veranstaltung ihres retablissements erheischet, damit selbige künfftige Campagne früher denn der Feind ins Feld seyn und solcher Gestalt denen ietzigen Progressen favorable suiten versprechen könne, so hat man im letzten Kriegsrath vor diensamer ermeßen, daß der Myl. Marleborogk die Zeit allheir nicht mit Erwartung der Übergabe von Landau verliehre, sondern zu Veranstaltung des benöthigten seine Abreyße antrete..." 

Dem König gegenüber wird also eine etwas andere Nuance betont und der Entscheid des Herzogs von Marlborough nicht in Zweifel gezogen, sondern präzise erklärt. Flemming gegenüber scheint mir hinter dem "Voilà" indes ein gewisser Unmut zu lauern. Immerhin wird diese Formulierung nur verwendet, um auf etwas Außergewöhnliches hinzuweisen. Man kann es auch übersetzen mit "Na bitte... da haben wir's...großartig, nicht wahr?" Marlborough lässt die anderen die Drecksarbeit machen und macht sich buchstäblich vom Acker, um sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Von großer Wertschätzung und Nähe ist keine Rede. Auch in den nächsten Zeilen steht nichts davon, dass dieser Milord besonders freundlich ist - im Gegenteil. Offenbar war Marlborough eine Diva mit Cowboy-Allüren.


Wackerbarth gibt seinem Freund noch einige Tipps für die Unterredung mit Marlborough in Berlin: Es sei nötig, alle Formalitäten und Geschwätz wegzulassen, und Flemming soll ihm ein Faß Tokajer schenken, aber  "Il faut que le vins soit doux." (Der Wein muss süß sein!)

Auch über die Kommunikationswege erfährt man einiges: Wackerbarth deutet vieles an, schreibt häufig, er werde alles Nötige mündlich mitteilen. Er bedauert, nicht an seine Chiffre zu kommen. Die Bedeutung der Geheimhaltung war ihm also voll bewusst. Für die Durchreise von Landau nach Wien wird ein Treffen in Sachsen organisiert: "Ist es für Sie zu weit, nach Leipzig zu kommen, oder wäre es bequemer, bis nach Wittenberg zu kommen? Bitte geben Sie Rückmeldung, damit ich mich danach richten kann. Ich werde Ihnen aus Frankfurt einen Boten schicken, der Sie informiert, wann ich an einem der beiden Orte sein kann."

Manchmal bemerkt er, dass er lange nichts von Flemming gehört hat, und beim zweiten Mal klingt das dann schon etwas fordernd: "Ich habe seit Leipzig keine Neuigkeiten von Ihnen erhalten, obwohl ich Ihnen keine einzige Gelegenheit ausgelassen habe, mich bei Ihnen zu erkundigen, wie es Ihnen geht."

Oft wird in großer Hast geschrieben, und Wackerbarth muss sich immer wieder um Verzeihung bitten: "Entschuldigen Sie das Durcheinander in diesem Brief sowie die Fehler. Ich musste sehr schnell schreiben, um die Post nicht zu verpassen." Selbst in dem Bericht an den König erlaubt er sich diese Entschuldigung am Schluss: "Sollte sich demnach hierinnen einige Confusion eingeschlichen haben, so werden E. K. M. der allzugroß Eilfertigkeit dero man sich in diesem Fall bedienen mußen beyzulegen allergn. geruhen"


 

Trotz aller Eile werden die Formalitäten weitestgehend gewahrt. An Flemming lautet die stets gleiche Anrede: "Monsieur tres honore frere" bedeutet keine verwandtschaftliche Beziehung, sondern dass sich beide in Gleichrangigkeit befanden, wie wir aus dem Staatstitularbuch erfahren. Die immergleiche Schlussformel lautete: "Mit unerschütterlicher Verbundenheit bin ich, Monsieur, Euer Exzellenz hochverehrter Bruder und sehr untertäniger und gehorsamer Diener AC de Wackerbarth" 

Die Briefe zeugen von einer wirklich guten Beziehung beider. Sonst hätte Wackerbarth niemals so offen kommuniziert. Wie sehr er Flemming schätzt, wird auch deutlich, als er einige Zeit keine Schreiben von ihm erhält: 

"Ich habe Schwierigkeiten einen Grund für Euer Schweigen zu finden, denn ich erhalte seit einiger Zeit keine einzige Silbe mehr von Euch, obwohl Ihr mich früher nie ohne Nachrichten gelassen habt. Um mich auf irgendeine Weise zu trösten, stelle ich mir vor, dass Ihr solche Zeit mit meinen Angelegenheiten verbringt, anstatt mir zu schreiben, und dass eine so aufmerksame Hingabe nur ein glückliches Ergebnis für mich verspricht. Ich hege meine Sehnsucht nach Euch wie die zärtlichsten Liebhaber ihre Geliebten. Ich bin beunruhigt, wenn sie mir die Zeichen ihrer Erinnerungen verwehren, und so sieht es aus, wenn man einmal überzeugt ist, wie Ihr es getan habt. Ihr habt es geschafft, mein lieber Bruder, einer meiner Freunde zu sein."

Als dann endlich wieder Post eintrifft, seufzt Wackerbarth erleichtert: "Die Teilnahme, die Sie an allem zeigen, was mich betrifft, mit großer Dankbarkeit aufnehme, denn Sie sind der beste Fürsprecher, den ich mir wünschen könnte."

Selbst delikate Angelegenheiten kann Wackerbarth Flemming anvertrauen, so seine Unsicherheit:

"Ihr werdet besser als ich beurteilen können, ob die Angelegenheit vorangeht oder scheitert, wenn mein Name in der Sache genannt wird. Ich persönlich denke, es wäre besser, ihn nicht zu nennen. Aber Ihr, mein lieber Bruder, werdet tun, was Ihr für richtig haltet, denn ich bin überzeugt von Eurem Eifer, Eurem Verstand und der Geschicklichkeit, mit der Ihr die Dinge anpackt, sodass ich keine Angst haben muss, für die 10.000 Escus ausgenutzt zu werden (Ihr versteht mich richtig)." 

Er stellte seine Person demnach hinter die Sache und wusste sich zurückzunehmen. Aber ob das immer der Fall war, werden wir sehen.


Dienstag, 16. Mai 2023

Mein Zeitplan


Ich habe inzwischen sieben Archivtage hinter mir. Ich transkribiere zwei Akten mit Briefen zwischen Wackerbarth und Flemming parallel: 1699 und 1704. Durch diese "Probebohrungen" will ich das Pensum einschätzen lernen.

Inzwischen habe ich 22 Briefe bzw. Dokumente abgeschrieben. Nach 4h ist spätestens mein Akku alle.

In dieser Korrespondenz habe ich eine Geheimschrift entdeckt. Der dazugehörige Nomenklator war leider nicht in den zwei Konvoluten mit Flemmings Chiffren. Es scheint aber nur eine einfache Substitutionschiffre zu sein, die man notfalls auch selbst entschlüsseln kann.

Um zehn Blatt zu transkribieren, benötige ich ca. 1h Arbeit. Dadurch ergibt sich folgende Hochrechnung:

60 Akten à 300 Blatt = 18.000 Blatt / 10 = 1.800h Transkription = 450-600 Tage für Transkription

Einige Akten sind freilich nicht so dick, und es sind auch nicht immer Vor- und Rückseite beschrieben. Aber das nehme ich als Puffer, da es an anderer Stelle länger dauert, weil sich Notizen an Skizzen für die Innenarchitektur oder auch Geheimschriften schlechter lesen und abschreiben lassen und die Entschlüsselung noch dazu kommt.

Die Übersetzung benötigt dank ChatGBT1h pro 4 Seiten. Zum Glück ist nicht alles französisch. Aber man kann von 75% ausgehen.

18.000 Blatt* 75 / 100 = 13.500 ~ 14.000

14.000/ 4 = 3.500h Übersetzung = 875 Tage für Übersetzungen

Zusätzlich lese ich noch die einschlägige Literatur. Da schaffe ich 30 Seiten pro Tag.

Geschätzt 500 Bücher über August den Starken und seine Zeit und 200 Aufsätze gibt es. Wenn ich mich auf die relevantesten Publikationen konzentriere, dürfte ich auf 300 Titel kommen. Ich nehme einen durchschnittlichen Umfang von 100 Seiten an.

300*100 = 30.000 Seiten/30 = 1000 Tage für Literaturstudium

Den Text für das Buch zu schreiben dürfte nochmals längere Zeit in Anspruch nehmen. Veranschlage ich für das Buch 200 Seiten und versuche pro Tag 2 Seiten zu schreiben, ergibt sich:

200/5 = 100 Tage für das Buchschreiben 

Die Einträge von Terminen und Orten in die Excel-Tabellen erfolgt nebenbei. Die Umgestaltung in eine Itinerarkarte, Kalender usw. wird später eine Softwarefirma übernehmen.

Insofern habe ich nur folgendes zu leisten:

600+875+1000+100 = 1475  Tage = 4,04 Jahre zuzüglich andere Tätigkeiten, Feiertage, Urlaube.

Also knappe fünf Jahre Arbeit. Ob es wirklich so lange dauert? Oder vielleicht doch länger?




Sonntag, 30. April 2023

Wie man Riesen begegnet

Mehrere Forscher haben mit Projekten dieser Ära schon Schiffbruch erlitten. Andere wagten sich gar nicht erst an die Thematik heran. Was hat die Forscher abgehalten, sich diesen Persönlichkeiten zu widmen? Waren sie feige? Waren sie Opfer einer Selbstverzwergung, war also das Projekt gar nicht so groß und sie so klein? 


 Meiner Meinung nach hatten sie gute Gründe, Respekt vor der Aufgabe zu haben. Wenn man durch ein Fernglas auf diesen Riesenberg blickt, erscheinen die Probleme unlösbar. Siebenmal ruft es einem zu: "Lass die Finger davon":

1. Die Menge der Quellen ist überwältigend.

2. Die französische Sprache ist hinderlich, und zudem wurde auch Geheimschrift angewandt.

3. Das große Personennetzwerk des Hofes ist schwer darstellbar.

4. Die zahllosen Querverweise erschweren die Arbeit.

5. Das Image Augusts des Starken ist schlecht.

6. Politikgeschichte und Biografiegeschichte sind nicht en vogue.

7. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis.

Wenn ich mein Werk ernsthaft zu einem Ende bringen möchte, werde ich gut daran tun, mich mit diesen Widerständen auseinderzusetzen. Denn ich halte das Unternehmen keineswegs für unmöglich.



Der Quellenfülle werde ich durch strukturierte Vorgehensweise begegnen. Ich werde zu jedem Hauptbestand die Archivalien zunächst erfassen und verschlagworten. Die höchste Priorität haben die Korrespondenzen von Wackerbarth und Flemming miteinander und mit dem König. Dieser Korpus umfasst ca. 60 Akten von einem Umfang von je max. 300 Seiten, was insgesamt 18.000 Blatt (max. 36.000 Seiten) macht, die zu transkribieren, evtl. zu übersetzen, zu analysieren und in Beziehung zu setzen sind. Hier wird nur helen, einfach anzufangen mit der Transkription. Wenn jeder der beiden mehrere Briefe pro Tag schrieb, ist es für einen Forscher allein aussichtslos, das ganze Briefnetzwerk ohne Teamarbeit zu erforschen.

Die Übersetzungen werde ich mit dem Googleübersetzer und meinen Fremdsprachenkenntnissen bewältigen. Für kompliziertere Passagen stehen mir Romanisten zur Verfügung.Für die Geheimschriften existieren möglicherweise die passenden Nomenklatoren. Diese sind bereits in einer Datenbank erfasst. Lediglich die vielen Nomenklatoren ohne Namens-, Orts- oder Jahresangabe sind niemandem eindeutig zuordenbar, was im Einzelfall eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen bedeuten würde. Von derlei Spezialfällen ist aber nur sehr, sehr selten auszugehen.

Das Personennetzwerk lässt sich mit Hilfe einer Excel-Liste aller erwähnten Personen durch ein Programm automatisch erstellen. Dubletten und Verwechslungen kann durch die Erfassung der Identifier (GND, VIAF) vorgebeugt werden. Den Hofstaat sichtbar zu machen ist angesichts der Bestallungen und Staatskalender keine Utopie. Eine Analyse der Verflechtung verspricht weitreichende Ergebnisse.

Eine Erfassung der Metadaten der Briefe ist Basis einer Briefdatenbank. Jeder Brief erhält eine eigene Identifikationsnummer. So können Vorgänger- und Nachfolgebriefe zugeordnet und Querverweise notiert werden. Lücken können durch die Gegenüberlieferung z.B. in polnischen Archiven evtl. geschlossen werden.

Das Image des "sächsischen Sonnenkönigs" oder gar "Playboys" wie auch Flemmings als "intrigante graue Eminenz" und Wackerbarths wahlweise als "Regisseur des Dresdner Barock" oder Mann, den "nichts interessierte, was nicht mit Militär zu tun hatte" bedarf der Revision, und nur durch die überfällige und gründliche Grundlagenforschung können festgefahrene Stereotype aufgebrochen werden. Die im Vorfeld notierten Leitfragen stellen den Kompass der Analyse dar. Ein Imageberater würde dazu raten, positive Aspekte hervorzuheben und Talente wie auch menschliche Schwächen und tiefere Gedanken darzustellen. Dorthin kommt man aber nur, wenn man sich diesen Personen wirklich so weit wie möglich annähert, indem alle verfügbaren Quellen genutzt werden. Diesen großen Namen ein möglichst umfassendes Profil zu geben, ist mir als Dresdnerin ein Bedürfnis. Auch wenn am Ende  vielleicht auch eine Bestätigung der Vorurteile steht, so muss auch die Chance genutzt werden, andere Perspektiven auf diese Persönlichkeiten zu eröffnen. Denn ich glaube nicht an eindimensionale Persönlichkeiten.

Berücksichtigung finden auch die aktuellen Tendenzen der Forschung. Durch die New Diplomatic History und die Historical Network Research, die Mikrogeschichte und die Kulturgeschichte des Politischen ist es möglich, ein modernes Profil der Politiker Flemming und Wackerbarth mit all seinen Facetten zu erstellen. 

Um den Aufwand zu rechtfertigen bedarf es einer finanziellen Strategie. Forschungsanträge zur Sächsisch-Polnischen Union an die DFG waren mehrfach abgelehnt worden, und europäische Geldgeber bedürfen eines so großen Projektrahmens, dass die Vorbereitungen sich über Jahre hinziehen würden, wie die ISGV-Bemühungen zeigen. Insofern ist es erfolgversprechender eine private Intiative zu starten und das Projekt durch Bucheinkünfte nachzufinanzieren. Eine klassische Doppelbiografie in Buchform ist m.E. nicht mehr zeitgemäß, verkauft sich auch nicht gut. Vielmehr soll im Ergebnis eine Publikation entstehen, die an der Schnittstelle von Belletristik und Sachbuch steht. Dafür stehen mehrere erfolgreiche Pbulikationen Pate (z.B. von Florian Illies). Für das Fachpublikum wird eine Website entstehen, auf der mehrere Angebote zur Recherche und Weiterarbeit verfügbar sind:

- Karte mit Itineraren

- Zeitstrahl mit Kalender für jeden einzelnen Tag

- Briefdatenbank

- Personennetzwerk

Diese Grundlagenarbeit bietet sich dann als Arbeitsmaterial und Steinbruch für folgende Arbeiten an, wenn es um die Augusteische Ära geht. Weitere Forschungsprojekte sollten dann die übrigen Minister behandeln und auch die Briefe des Grafen Brühl in derselben Qualität aufbereiten. Denn dasselbe, was für Flemming und Wackerbarth gilt, ist auch für den Grafen Brühl zutreffend: Die Forschung hat noch keine komplette Biografie hervorgebracht. Dagmar Vogel, erschlagen von der Quellenfülle, hat ihre Biografie 1738 enden lassen; auf ihren Band 1 von 2003 folgte nie eine Fortsetzung. 286 Publikationen und ein Teilarchiv mit 11 Kapseln und 43 Bänden in der SLUB und über 1000 Akten im Hauptstaatsarchiv harren noch ihrer Bearbeitung. Brühl wird abwechselnd als "Sündenbock", "Mäzen", "Intrigant" und "Preußenfeind" tituliert, mithin voller Stereotype. 

Es ist eine weitere Strophe desselben Liedes: Ein kleiner Forscher gegen einen Riesen, den es zu bezwingen gilt. Dieser Riese ist das Geschichtsbild, und die Stereotype sind seine Waffe, die Quellenvielfalt seine Größe, die Fremdsprachigkeit sein Schild und die Verflechtung hunderter Personen sein dröhnendes Lachen. Die postulierte Irrelevanz der Politikgeschichte erweist sich als Fehlannahme: Der Riese ist existent, mithin auch nicht irrelevant. Und es braucht nur einen kleinen Stein des Anstoßes und eine hohe Motivation als Schleuder, um einen solchen Riesen zu Fall zu bringen. Wenn man sich nicht selbst verzwergt, ist vieles möglich. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.




Der Forschungsstand - eine ernüchternde Analyse





Wie bereits gesagt, ist das Thema sehr vielseitig und mit einer Fülle von Quellen gesegnet. Schon vor mir haben mehrere Kollegen vor diesem Berg an Korrespondenzen kapituliert. Paul Haake (1873-1950) war um 1900 von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften beauftragt worden, die Handschriften Augusts des Starken zu publizieren. Er stellte fest, dass man diesen Corpus nicht losgelöst betrachten kann und die Informations- und Entscheidungswege auf ein umfangreiches Personennetzwerk verweisen. Der Weltkrieg behinderte sein Forschungsprojekt, das schließlich komplett zu Erliegen kam.

Haake, Professor an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (1921) und der Humboldt-Universität Berlin (1945), hat über 370 Titel publiziert, davon 15 Bücher über August den Starken. Er war ausgewiesener Experte für die sächsische und preußische Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts.

Zu DDR-Zeiten war die Ära Augusts II. fast nur für Kunsthistoriker erforschbar. In den 40 Jahren erschienen nur 40 Publikationen zu ihm: neben den ersten Veröffentlichungen des Landeshistorikers Karl Czok und des Polen Jacek Staszewski die Biografie von Georg Piltz und die Arbeit von Gabriele Hoffmann über die Geschichte der Gräfin Cosel (in mehreren Auflagen). In den letzten 34 Jahren hingegen wurden über 400 Bücher und Aufsätze zu August II. veröffentlicht.

Quelle: SLUB



Flemming war in den letzten 300 Jahren für 17 Publikationen gut, die eher biografische Abrisse darstellten. August Christoph von Wackerbarth war seit seinem Tod 20 Mal Thema einer Veröffentlichung. So widmeten einige Kunst- und Kulturhistoriker sich seines Einflusses auf idie Entstehung von Frauenkirche oder Gemäldegalerie. Die Zabeltitzer Heimatforscher um Dietmar Enge und zuletzt der Dresdner Uwe Müller haben sich in den letzten Jahren große Verdienste darum erwiesen, Wackerbarth im Bewusstsein zu halten, ohne jedoch die Archivquellen in ihrer Menge strukturiert heben und auswerten zu können. Der Militärhistoriker Christian Jentzsch zeichnete jüngst die Karriere "Vom Pagen zum Generalfeldmarschall" nach, wobei er die zivilen Ämter in ihrer Bedeutung freilich unterschätzte.

Publikationen Flemming

Publikationen Wackerbarth

 

 

Insgesamt ist das eine äußerst dürftige Ausbeute der Sächsischen Landesgeschichte, wenn man sich bewusst macht, dass es sich um die zwei wichtigsten Minister an der Seite Augusts des Starken handelt und die Friedliche Revolution schon eine Forschergeneration zurückliegt. Während in Polen seit 2000 Urszula Kosińska die Quellen zur Politischen Geschichte Augusts II. analysiert, liegen die Materialien im Sächsischen Hauptstaatsarchiv brach. Es ist an der Zeit, ausgehend von Wackerbarth und Flemming die Augusteische Ära in ihrer ganzen Breite und Tiefe aufzuarbeiten.

Freitag, 21. April 2023

Brief von Wackerbarth an Flemming, 19. Januar 1704

Über das Verhältnis der beiden berichtet schon der erste Brief meiner "Probebohrung". Ich habe ihn transkribiert und aus dem Französischen übersetzt.

Wackerbarth schrieb als Gesandter aus Wien, wo er seit 1698  - mit Unterbrechungen - war. Er macht die Belastungen, denen er ausgesetzt war, deutlich und wendet sich vertrauensvoll an seinen "Bruder". 



Brief von Wackerbarth aus Wien an Flemming, 19. Januar 1704

Sehr verehrter Herr Bruder,
Niemand freut sich mehr als ich, Eurer Exzellenz in Bezug auf die Collatio [den Vergleich] hier ​​zufrieden stellen zu können. Der Überbringer wird die Ausführung ganz in Ihre Hände legen; ich halte all mein Verlangen zurück und habe die Hoffnung, dass Sie mir  einen zusätzlichen Kontrakt geben werden, und nun folgt, was ich wünsche.
Machen  [Erhöhen] Sie es [das Geld] bis zu 500 fl., weil Sie es aus der beigefügten Quittung des Absenders ersehen, außerdem habe ich noch 30. fl. als Gratial [Dankbarkeitsgeste] in der Kanzlei bezahlt, da es dort üblich ist, bei einer solchen Zusammenkunft ein kleines Präsent zu überreichen. Ich musste dieses Geld leihen, da es 100 und mehr oder weniger Gulden sein werden, weil sich hier jeder präsentiert und die Knappheit so groß ist, dass die gleichen Bankiers, die  sonst 1000. und mehr Gulden vorschießen, mir vorerst keine 10. für das Geschenk geben können. Selbst wenn ich überhaupt noch Kredit hätte, wäre sozusagen kein Geld da. Mein Silberbesteck habe ich schon eingeschmolzen, um meine Gläubiger zu bezahlen, und meinen Sekretär habe ich nach Sachsen geschickt, um meine Vorschüsse und mein Gehalt zu erbitten, da seit einiger Zeit von Mal zu Mal niemand mehr daran denkt, mich hier zu bezahlen. Er hat Auftrag [mich] bei Ihnen zu vertreten und Ihnen diesen Stand in meinen Angelegenheiten mitzuteilen und um Ihre Unterstützung zu bitten, um die ich Sie sehr demütig bitte.
Der König hebt mich heraus, wenn ich ihn um die Gnade bitte, es zu wagen, an den Hof zu kommen, und will, dass ich hier sterbe, zur gleichen Zeit wird mir gesagt, dass ich dort leben muss, aber ich werde nichts sagen, wenn ich stoisch dem Staat und Maitre auf eigene Kosten zu dienen habe. Aber sind es nicht die Umstände ihm zu sagen, dass ich ihm hier notwendig bin. Da ist es nur richtig, dass man mich auch unterhält. Ich wünschte, dass Sie eine halbe Stunde mit mir sprechen könnten, damit ich meine Seele erleichern und unter uns meine Sorgen anvertrauen könnte.
Kürzlich hatte ich einen Zeitungsbericht, der mir ins Herz drang. Man wirft mir Unachtsamkeit vor hinsichtlich eines Vertrages, von dem man mir versichert hat, ob er abgeschlossen ist oder nicht, zwischen dem Kaiser und dem König von Preussen bezüglich Glogau und  Sagan und nicht von... [?], dass es ein realitätsferner Vertrag ist, woran noch nie gedacht wurde. Sie reden in einer Weise über mich, als hätte ich die Interessen des Maistre vernachlässigt; Hier kommt noch das Angenehme an der Funktion des Gesandten dazu, dass man ihm seine Außlößung [sic!] nicht mehr zahlt, und dieser Freund mir auf Befehl, wenn er nicht davon absteht, mir nicht die Hälfte von dem gibt, was wir gewohnt sind an andere zu geben, // die nicht verpflichtet sind, mehr zu tun// oder ihrerseits nicht verpflichtet sind, mehr Aufwand und mehr Aufwand zu leisten als ich.
All dies, mein lieber Bruder, um freiheraus mit Ihnen zu sprechen, sollte mir sagen, dass ich nicht denselben Anteil am Wohlwollen Seiner Majestät haben soll. Ich weiß nicht einmal, ob ich mir dieses Vorgehen  einbilde. Es handelt sich um einen Fall von mir und meinem Dienst, bei dem ich lieber ein Almosen nehme, als einem Fürsten zur Last zu fallen, der mich nicht mehr liebt. Ich kann mich nicht erinnern, irgendjemandem an unseren Höfen das Geringste getan zu haben, also weiß ich nicht, ob ich Feinde habe, die mir diesen guten Dienst erweisen, oder was ich zumindest geschrieben habe. Der Großmarschall, der nur ein halber Freund ist //Freunde hatten mich gewarnt// hat mir mitgeteilt, dass er sich auf meine Seite gestellt hat, damit ich ihm dankbar wäre. Aber ich habe ihm nicht gesagt, dass Sie es waren, von dem ich diesen Hinweis habe. Ich bitte Sie, mit ihm vereinbaren, dass die Anordnungen zur Zahlung meines Gehalts sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft erteilt werden oder dass Sie mir zumindest sagen, woran ich bin. Ich schrieb auch an Herrn von Bose, um ihn zu bitten, mir mein Gehalt aus der Kriegskasse zu geben, zusätzlich zum Gehalt von Generalmajor.
Ich habe noch Anspruch auf acht Monate Gehalt als Lagergeneral, für welche Zeit ich glaube, der einzige im Dienst des Königs zu sein, dem nicht zugestimmt wurde, da man ihm alles nehmen kann. Er versicherte mir, immer einer meiner Freunde zu sein, ich zweifle nicht daran, dass er nach Ihrer Fürsprache alle gewünschten Überlegungen anstellen wird. Verzeihen Sie mir, mein lieber Bruder, wenn ich Sie so mit meinen eigenen notwendigen Interessen belaste. Ihre Sanftheit und gutes Herz verpflichten mich dazu.
Zu dem, was ich Ihnen gerade offen gesagt habe, beschwöre ich Sie, damit ich weiß, woran ich bin, sagen Sie mir, wenn Sie in meiner Sache zut Seiner Majestät gehen, wie ich es mir vorstelle. Falls das nicht möglich ist, werde ich Ihnen etwas unter vier Augen hinzufügen, was los ist.
Ich bin völlig Eurer Exzellenz ganz bescheidener und freundlicher AC von Wackerbarth



Donnerstag, 20. April 2023

Neues Projekt "Wackerbarth und Flemming" - Der erste Monat

Am 24. März startete ich ein neues Projekt unter dem Arbeitstitel "Wackerbarth und Flemming". Es ist mein Herzensprojekt, von dem ich schon seit vielen Jahren träume.



August Christoph von Wackerbarth (1662-1734) und Jakob Heinrich Flemming (1667-1728) waren die Stützen Augusts des Starken. Wackerbarth wurde als Bauminister zum "Regisseur des Dresdner Barock", war aber auch als Gouverneur und Generalfeldmarschall für die Verteidigung und Militärpolitik zuständig und darüberhinaus langjähriger Gesandter am Wiener Hof. Er beriet den König als Kabinettsminister und war auch in seinem Geheimbund vertreten. Nicht zuletzt hat er sichin Sachsen für den Weinanbau eingesetzt - weshalb heute noch der Wackerbarth-Sekt bekannt ist - und das Ingenieurbildungswesen reformiert. Er kann als einer der Väter der deutschen Ingenieurskunst gelten.

Flemming seinerseits ist in Sachsen als intriganter Minister in Verruf geraten, da er August dem Starken die Finanzen für die Königswahl in Polen organisierte und in der Geschichtsschreibung sehr schlecht dargestellt wurde. Allerdings waren seine Beziehungen zu Polen und sein Organisationsgeschick für den König von unschätzbarem Wert. Er war dirigierender Kabinettsminister und ebenso wie Wackerbarth Gesandter, Gouverneur und Generalfeldmarschall. 

Beide standen sich sehr nahe und betitelten sich als "mon chére frere". Bislang steht eine Biografie dieser zentralen Akteure noch aus. Die Landesgeschichtsforschung hat sich an die überbordende Menge der Quellen der Augusteischen Ära noch nicht herangewagt. Und in der Tat ist es eine schier unübersehbare Menge Arbeit. Allein im Sächsischen Hauptstaatsarchiv lagern:

47 Akten Korrespondenzen zwischen Wackerbarth und Flemming

9 Akten Korrespondenzen zwischen dem König und Flemming

4 Akten Korrespondenzen zwischen dem König und Wackerbarth

614 Akten tragen Wackerbarths Namen im Titel

1312 Akten tragen Flemmings Namen im Titel.

Darüberhinaus sind Dutzende Bestände durchzusehen nach weiterem, in anderen Akten liegenden Material über die beiden Minister. Es sind auch weitere Archive zu besuchen: das Dresdner Stadtarchiv, 27 weitere Archive in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, 14 Archive in Deutschland, 30 Archive in Europa. Ein Lebenswerk.

Das Ziel ist die wissenschaftliche Erschließung der Korrespondenzen dieser zwei wichtigsten Minister von August dem Starken. Im Ergebnis soll eine Doppelbiografie geschrieben werden und eine Website entstehen, auf der die Quellen in Form einer Datenbank (mit Übersetzung), Itineraren, Netzwerken und Kalender für die Jahre 1691-1734 recherchierbar sind.

Die Arbeit zu strukturieren ist nicht schwer.

1. Aufnahme der Metadaten 

2. Lektüre der  Quellen - Transkription - Übersetzung

3. Analyse mithilfe von Fachliteratur

4. Verschriftlichung des Textes

5. Einrichtung von Frontend und Backend

In der ersten Woche habe ich neun Bücher aus der SLUB ausgeliehen, um mir für einen DFG-Antrag theoretisches Rüstzeug zu holen. Die Bücher behandeln Sicherheit in der Frühen Neuzeit, globale Wissensgeschichte, Mikrogeschichte und aktuelle Forschungen zur Frühen Neuzeit.

Die bereits voriges Jahr erstellte Access-Datenbank für Akten wurde nun mit den ersten Quellen gefüllt und weiter verbessert. Vom Grafen Wackerbarth sind 36 Akten digitalisiert, vom Grafen Flemming 206 Akten. In ein Access-Formular werden die Akten mit Metadaten und Inhaltsangabe eingetragen, in ein anderes die Briefe transkribiert. Eine weitere Excel-Tabelle enthält den Kalender, wo ich für den König, Wackerbart und Flemming jeweils aus den Quellen ihr Tagewerk zu rekonstruieren versuche. In einer anderen Excelliste werden die Aufenthaltsorte mit Datum notiert, so dass sich am Ende ein Itinerar erstellen lässt.

Die Personendatenbank zu führen ist am aufwändigsten, da sie gleich alle Metadaten für ein  Personennetzwerk enthalten muss. Das bedeutet, dass für jede erwähnte Person Namen, Vornamen, Titel, Lebens- und Sterbedaten sowie die Identifizierungsnummer GND und VIAF eingetragen werden muss. Nach einem Monat enthält die Liste 41 Personen.

Für die umfangreiche Literatur habe ich eine eigene Access-Datenbank für Literatur angelegt. Die verfügbaren Literaturdatenbanken sind alle kostenpflichtig, sobald man einen gewissen Umfang an Datensätzen benötigt. Und da ich mit Access inzwischen Übung habe und die Excel-Tabellen erfahrungsgemäß zuverlässig funktionieren, habe ich mich dafür entschieden, mein eigenes Ding zu machen. Ich kann stolz darauf sein, dass ich diese Datenbank in drei Stunden auf die Beine gestellt habe. Auch diese Datenbank habe ich mit der Realität abgeglichen, indem ich schon mehrere Titel, die ich lesen werde, eingegeben habe. Dabei bin ich auch auf einen Fund gestoßen, der mich aufhorchen lässt: ein mir bislang unbekannter Kupferstich in einer holländischen Übersetzung einer Publikation über Wackerbarth von 1735.

 


Das Handwerkszeug ist also bereit - bis auf Kinderkrankheiten, die sich Stück für Stück beseitigen lassen. 

So hat die Aktendatenbank noch keine zufriedenstellende Verschlagwortung. Deshalb habe ich eine weiteres Feld eingefügt. Unter "Ressorts" werde ich jeder Akte zuordnen, ob sie zur Außenpolitik, Wirtschaftspolitik usw. gehört. Die Schlagworte sind dann spezieller. Für die Einrichtung dieses neuen Feldes habe ich zwei Stunden gebraucht. Ich muss nur noch die Mehrfachauswahl einrichten; das ist immer eine kompliziertere Sache und ich hab's schon mal hingekriegt, ich weiß nur nicht, wie.

Nach vier Wochen enthält die Archivaliendatenbank 167 Akten. Am ersten Archivtag habe ich drei Briefe abgeschrieben und die Instruktion für die Gouverneure zu einem Drittel transkribiert. Zudem habe ich im Archiv unveröffentlichte Manuskripte von anderen Forschern entdeckt. Das Archiv ist eine Goldgrube, und ich wünschte, ich wäre nach sechs Stunden nicht so müde, sondern könnte Tag und Nacht weitermachen. Am besten wäre es, ich wäre mal nachts im Archiv oder in der Bibliothek eingeschlossen...



Mittwoch, 6. Juli 2022

Meine ersten Tests

 Kaum war der Wechselunterricht gestartet, habe ich beschlossen, meine Schüler zu quälen. Solange die Schulen offen waren, musste ich eine schriftliche Note einheimsen. Also Tests schreiben. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Natürlich waren auch meine KollegInnen auf dieselbe Idee verfallen und so hatten die Kinder jetzt jede Woche Arbeiten. Ich staffelte die 14 Gruppen so, dass ich in vier Wochen durch wäre. 

Mein erster Entwurf wurde von meiner Kollegin kritisch geprüft, und sie hatte recht: die ersten drei Aufgaben, die ich auf Kindergartenniveau vermutet hatte, waren fabelhaft, aber die anderen drei viiiel zu schwer. Also überarbeitete ich die Aufgabenstellung und ließ weniger schreiben. Jetzt sollten die Schüler zuordnen, ankreuzen, markieren usw. Ich sagte den Kindern ziemlich genau, was dran kommen würde. Sowas hatten unsere Lehrer früher mit uns nie gemacht. Und da alle Kinder die E-Mails von uns haben, wurde ich auch regelmäßig von einzelnen Schülern angeschrieben, ob ich nicht noch genauer sagen könnte, was sie lernen sollten, das wäre alles viiiiel zu viel. Ich gab Tips, wo ich konnte, aber genau diese 11/12jährigen Kinder saßen dann mit Tränen in den Augen vor einem und wussten nicht, was Ebbe und Flut ist oder wo Großbritannien liegt, obwohl wir beides lang und breit behandelt hatten. 

Nach dem ersten Test beschloss ich, "Starthilfe" einzuführen. Die Kinder konnten sich also während des Tests melden, wenn sie total auf dem Schlauch standen, etwas auf der Zunge lag oder sie einfach keinen blassen Schimmer hatten. Manchmal genügte dann ein kleiner Hinweis, aber manchmal ... Mannomann, da guckten einen ahnungslose Augen an, als ob sie NOCH NIE IM LEBEN das Wort Steppe gehört hatten, obwohl das eines der drei vorher fürs Lernen genannten Themen war. Da saßen Kinder, die einfach nicht gelernt hatten und in den Lückentext frech das Alphabet einfügten von a bis z. Oder die unter die Aufgabe schrieben: "hab ich nicht gelernt, aber für den hübschen Smiley kriege ich doch bestimmt einen Zusatzpunkt, ooooder?" Nö. Der Bursche war zwei Punkte von der 4 entfernt - da hätte er schon zwei Smileys malen müssen. Das schrieb ich ihm auch so hin.  Schließlich mussten wir die Noten entlang einer Punkteskala ermitteln, die von der Schule festgelegt war. Da gab es keinen Verhandlungsspielraum.

Wahrscheinlich merkten die Kinder jetzt, dass ich tatsächlich auch eine knallharte Lehrerin sein kann. Vorher immer so netten Unterricht, mit Bildern, Basteln, Filmchen und Spielen. Und jetzt macht sie das! Tja, Kinder, das Leben ist grausam und schrecklich gemein! 

Aber zum Ausgleich gibt es keinen zweiten Test. Stattdessen dürfen die SchülerInnen aus der 9. Klasse ein Poster präsentieren und ich habe ihnen dafür 14 sehr coole Themen zur Auswahl gegeben - von Piraten im Pazifik über Himalaya-Expeditionen, Sundarbans Tiger, über Walfang bis hin zur Transsibirischen Eisenbahn und Fukushima und den historischen Gewürzrouten.  Wen wundert's: sie sprangen sofort darauf an und prügelten sich fast um die Piratenposter.

Die Jüngeren werde ich auch mit einer ähnlichen Aktion ruhig stellen: die Oberschüler dachten schon direkt nach dem Test, dass er in die Hose gegangen ist und boten Vorträge an - über die Schweizer Schokolade, die Vulkane Italiens oder ähnliches werde ich auch da eine nette Liste machen. So habe ich was davon - ich kann delegieren und sie lernen im Internet recherchieren und vortragen. Ich bin mal gespannt, was so rauskommt.